Bis in die 1960er Jahre waren Geschäfte an zwei Sonntagen im Advent geöffnet.
Auf Richard Lugner sollte man hören. Im Ernst. Der Baumeister cum Einkaufszentrum weiß, wovon er spricht. Er sagt, bei der Sonntagsöffnung während der Fußball-EM 2008 hätten die Händler in seiner Lugner City mehr Umsatz gemacht als an den anderen Tagen. Aber gut, das ist lange her. Aktuell wären wir schon froh, wenn die Geschäfte bis Weihnachten überhaupt wieder aufsperren dürfen. Die zweite Welle muss gebrochen werden, das ist klar. Da geht die Gesundheit vor der Wirtschaft. Aber wenn das gelungen ist, muss man über alles reden dürfen. Auch über die Öffnungszeiten. Sogar über den heiligen Sonntag.
Bäcker, Polizisten, Ärzte, Journalisten, Kellner, Köche, Taxi-, Uber- und Öffi-Fahrer, Essenszusteller und viele mehr arbeiten längst am Sonntag. Priester auch. Wie kann es also sein, dass ein schwarzer Arbeiterkammer-Mann dem Wirtschaftskammerpräsidenten Harald Mahrer wörtlich eine “geschmacklosen Entgleisung” vorwirft, weil der zwei offene Sonntage vor Weihnachten vorschlägt? In einem Jahr, in dem der Handel schon viele Wochen verloren hat – darunter das Ostergeschäft. In dem die Wirtschaft einbricht wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg? Wie kann man so verbohrt, so rückwärtsgewandt sein?
In Tschechien, der Slowakei und Slowenien dürfen die Geschäfte am Sonntag offen halten. Von Mitternacht bis Mitternacht, wenn sie wollen. Dasselbe gilt von Montag bis Samstag. Schweden, Finnland, Baltikum? Offen. Sogar in Italien sind die Öffnungszeiten völlig frei – und niemand wird die Italiener bezichtigen, den Katholizismus nicht ernst genug zu nehmen. An der Religion kann es also nicht liegen. Schon alleine deswegen, weil in Österreich viele Moslems, Juden und Atheisten leben, die andere Regeln haben. Warum sollen die gezwungen werden, sich an den heiligen Sonntag zu halten.
Noch nicht einmal die Tradition kann für den sturen Widerstand gegen die Sonntagsöffnung als Argument dienen. Durch einen einfühlsamen Blog-Eintrag von Christa Chorherr wurden wir kürzlich nämlich daran erinnert, dass es bis in die 1960er Jahre den “silbernen” und den “goldenen Sonntag” gab. Das waren die zwei Sonntage vor Weihnachten – also die, um die wir auch jetzt streiten. Da hatten die Geschäfte offen. Und, so Chorherr, deren Schwiegermutter eine Parfümerie hatte: “Der meiste Umsatz wurde dann doch noch am silbernen und goldenen Sonntag gemacht.” Fairerweise muss man sagen, dass der 8. Dezember damals ein strenger Feiertag war und die zwei offenen Sonntage gegen die langen Einkaufssamstage getauscht wurden. Aber es hat sich seit den 1960ern auch sonst so einiges verändert.
Wir haben jetzt Amazon. Und Zustelldienste – auch für Supermarktprodukte. Geregelte Öffnungszeiten sind ein enormer Wettbewerbsnachteil. Sie freizugeben, würde Jobs schaffen. Sie beizubehalten, wird Jobs vernichten. Dazu kommt: Es macht schon einen Unterschied, ob man sich hinausbewegt, um Geschenke für seine Lieben zu kaufen – oder ob man nur die Maus bewegt. Es ist schön, sich ein bisschen Mühe zu machen. Sich vielleicht sogar beraten zu lassen. Deswegen: Hört auf Richard Lugner. Sperrt die Geschäfte auf.
Gastkommentar von Nikolaus Jilch in der „Wiener Zeitung“ (28.11.2020)
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