Geldpolitik

Österreichs Häuslbauer stecken in der Zinsfalle – aus eigener Schuld

Die jüngste Zinserhöhung bringt Schuldner unter Druck. Vor allem jene, die sich bei der größten Anschaffung ihres Lebens verspekuliert haben. Und das ohne Not.

Der vergangene Donnerstag war für viele Kreditnehmer kein wirklich guter Tag: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zum zehnten Mal in Folge die Zinsen angehoben, um die galoppierende Inflation endlich unter Kontrolle zu kriegen. Für viele Kunden heimischer Banken verheißt das nichts Gutes. Vor allem für jene nicht, die ihr Eigenheim mit variabel verzinsten Krediten finanziert haben. Das weiß auch die Politik, die immer lauter nach einer strengen Regulierung der Kreditzinsen ruft. Nicht mehr Banken und Märkte sollen bestimmen, wie viel für geliehenes Geld zu bezahlen ist, sondern der Staat. Was für die Mieten richtig ist, kann für die Zinsen nicht falsch sein. So fordert die SPÖ seit längerem einen maximal zulässigen Höchstzins von drei Prozent für Wohnkredite. OeNB-Gouverneur Robert Holzmann wiederum meint, dass Immobilien in den ersten fünf bis zehn Jahren generell fix zu verzinsen seien.  

In Österreich haben sich gut die Hälfte aller Kreditnehmer aus freien Stücken dazu entschlossen, ihr Eigenheim mit einem variablen Kredit zu finanzieren. Und das in einer Zeit, in der völlig risikofreie Fixzinskredite um historisch günstige 1,5 Prozent pro Jahr zu haben waren.

Klar ist aus Sicht vieler Politiker, dass „wir“ die Häuslbauer mit ihren variabel verzinsten Krediten nicht allein lassen könnten. Bevor aber die Allgemeinheit für die Beseitigung der unerfreulichen Folgen einer schief gelaufenen Lebensentscheidung ausrücken muss, sollten wir uns die Ausgangslage kurz in Erinnerung rufen: In Österreich haben sich gut die Hälfte aller Kreditnehmer aus freien Stücken dazu entschlossen, ihr Eigenheim mit einem variablen Kredit zu finanzieren. Und das in einer Zeit, in der völlig risikofreie Fixzinskredite um historisch günstige 1,5 Prozent pro Jahr zu haben waren. Statt den Schlaf eines bestens abgesicherten Kreditnehmers zu genießen, haben sich viele für den Nervenkitzel entschieden. Schlecht geschlafen wird hierzulande offenbar nicht, wenn man die größte Anschaffung seines Lebens variabel verzinst finanziert. Schlecht geschlafen wird, wenn der Nachbar einen (variablen) Zinssatz bezahlt, der um einige Zehntelprozentpunkte unter dem eigenen (fixen) liegt.  
  
Dieses hochriskante Verhalten ist schon deshalb überraschend, weil die Bevölkerung in Geldfragen zu den konservativsten der Welt zählt. Sagenhafte 300 Milliarden Euro lagen in der Nullzinsphase auf den Konten der Bürger herum, während in anderen Teilen der Welt munter Aktien gekauft wurden. Weil die Menschen andernorts wissen, dass Aktien in Zeiten niedriger Zinsen überdurchschnittlich gut performen. In Österreich wiederum fehlt dieses Wissen weitgehend. Zudem wurde den Menschen erfolgreich eingebläut, dass der Erwerb von Unternehmensanteilen nicht viel besser ist als der Besuch einer illegalen Spielhölle. Spekuliert wird deshalb nicht mit eigenem Geld, sondern mit fremdem. Und die Rechnung könnte aufgehen: Folgt man der politischen Logik, werden entweder die Banken über einen staatlich verordneten Zinsdeckel für den Schaden der schief gelaufenen Spekulation aufkommen oder die Steuerzahler über staatliche Zuwendungen. Um jene aufzufangen, denen 1,5 Prozent Fixzins zu teuer war und die sich mit variablen Krediten über Jahre hinweg viel Geld erspart haben.  
 
Einzig der Vorwurf der schlechten Beratung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Gemeint sind führende Geldpolitiker und Ökonomen, die der Bevölkerung jahrelang erklärt haben, dass das Fluten der Märkte mit Unmengen von staatlichem Gratisgeld völlig gefahrlos sei. Zu fürchten hätten sich die Bürger nicht vor steigenden Preisen, die Inflation sei so gut wie ausgestorben. Nein, in Acht nehmen müssten sich die Menschen vor fallenden Preisen. Die Deflation sei die große Gefahr, die es zu bekämpfen gilt, nicht die Inflation. Woher also sollten steigende Zinsen kommen? Wem hätten die Immobilien-Kreditnehmer mehr vertrauen können als den führenden Ökonomen der Europäischen Zentralbank? Schließlich ist die Sicherung der Geldwertstabilität ihr einziger Job. Wer, wenn nicht sie, soll also wissen, wie der Zinshase läuft? Leider lagen die Experten der EZB mit ihren Rechenmodellen kolossal daneben. Selbst, als die Verbraucherpreise die Fünf-Prozent-Marke durchbrochen haben, wurde noch von einer „vorübergehenden“ Teuerung phantasiert, die völlig „out of the blue“ (ã Christine Lagarde) über uns hereingebrochen sei. Zurückgetreten ist niemand, die Zeche zahlen nun die Kreditnehmer, die Banken und vermutlich alle Steuerzahler.  

Kolumne von Franz Schellhorn für die “Presse” (16.09.2023)
  

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