Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Österreich lahmt. Wenn das so weiter geht, werden immer mehr Menschen in prekären Jobs festhängen, während gleichzeitig überall Arbeitskräfte fehlen. Warum arbeiten Menschen dann eigentlich noch?
DDR-Vergleiche sind ja oft etwas unredlich. Doch seit Jahren macht sich in Österreich ein Phänomen breit, das tatsächlich an realsozialistische Verhältnisse erinnert. Nein, die Rede ist nicht von der zügellosen Umverteilungsmaschinerie oder der galoppierenden Staatsquote. Es geht um die Entwicklung der Arbeitsproduktivität.
Hier müssen wir kurz technisch werden: Man nehme den Berg an Gütern und Dienstleistungen, die wir in einem Jahr produzieren, bewerte sie mit ihren Preisen und teile das Ergebnis durch die Zahl der Arbeitsstunden, die dafür erforderlich waren. Tut man das Jahr für Jahr und hält die Preise dabei konstant, so bekommt man die reale Arbeitsproduktivität. Dieser Wert sollte auch Sie interessieren. Er spielt nämlich bei den alljährlichen Lohnverhandlungen eine große Rolle. Real mehr Lohn gibt es nur, wenn wir heute pro Stunde mehr schaffen als gestern.
Doch das tun wir in Österreich kaum noch. Um durchschnittlich nur knapp ein Prozent hat die reale Arbeitsproduktivität pro Stunde seit 2000 jährlich zugenommen. Seit der Finanzkrise sind es nur noch 0,7 Prozent pro Jahr. Seit der Corona-Pandemie herrscht praktisch Stillstand: 0,3 Prozent pro Jahr. Eine harmlose Zahlenspielerei, finden Sie? Der Nobelpreisträger Paul Krugman sagte einst: „Produktivität ist nicht alles, aber auf lange Sicht ist sie fast alles.“ Und er fährt fort: „Die Fähigkeit eines Landes, seinen Lebensstandard über die Zeit zu verbessern, hängt fast vollständig von seiner Fähigkeit ab, den Output pro Beschäftigten zu erhöhen.“ Schön, er spricht von Output pro Beschäftigten; nicht pro Stunde. Diese Kennzahl sieht in Österreich aber noch schlechter aus, weil die Arbeitszeiten immer kürzer werden. Im EU-Vergleich sind da nicht mehr viele Länder hinter uns.
Einfach nur das absolute Bruttoinlandsprodukt wachsen zu lassen, ist keine Kunst, solange man genug Inputs verheizen kann. Doch sie fehlen. Selbst in der aktuell schlechten Konjunktur sind in Österreich knapp 100.000 Stellen unbesetzt. Das leicht angestaubte Adjektiv „händeringend“ hat sich völlig selbstverständlich in den Sprachgebrauch eingeschlichen, wenn es darum geht, die Suche nach Fachkräften zu beschreiben. Doch wo soll man sie noch suchen? Bei den Alten? Dafür ist das Pensionssystem zu attraktiv. Bei den Frauen? Dafür müsste die Kinderbetreuung besser sein. Oder außerhalb der Landesgrenzen? Naja, auf die Idee sind andere auch schon gekommen; und 47 Prozent Steuern und Abgaben auf die Arbeitsleistung findet man halt nirgendwo auf der Welt besonders sexy.
Der grassierende Arbeitskräftemangel hat nicht nur damit zu tun, dass – plakativ gesagt – keiner mehr hackeln will. Es mangelt auch daran, dass die vorhandenen Arbeitskräfte nicht mehr produktiver werden. Wenn das Produktivitätswachstum stagniert – zum Beispiel, weil ein Land oder ein ganzer Kontinent zu wenig in die Zukunft investiert, Megatrends verschläft oder weil keine guten Wettbewerbsbedingungen existieren, unter denen sich neue, schlaue Ideen gegen die alten, weniger schlauen Ideen durchsetzen können – dann ist Wirtschaftswachstum bald nur noch eine blinde Materialschlacht. So ein System verschlingt Arbeitskräfte, frustriert sie, brennt sie aus; produziert aber schon bald keinen Wohlstand mehr.
Und hier muss nun der DDR-Vergleich kommen. Die Arbeitsproduktivität im Arbeiter- und Bauernstaat reichte nie auch nur annähernd an das westdeutsche Niveau heran. Daher wurde in den heruntergewirtschafteten Produktionsstätten, die die Sowjets übriggelassen hatten, jede Hand dringend gebraucht. Doch wenn sich die Menschen von ihrer Leistung keinen Wohlstandgewinn erwarten konnten, wie bekam die DDR sie dann eigentlich zum Mittun? Ein Teil der Antwort ist bekannt: Die Mauer. Der andere Teil ist die im Jahr 1968 eingeführte Arbeitspflicht: Wer sich „aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht“, dem drohte der sogenannte Asozialenparagraf mit zwei Jahren Haft oder Arbeitslager.
Ein Asozialenparagraf ist bei uns zum Glück nicht in Sicht. Auch wenn man eine Meinung dazu haben kann, dass manche nur noch gerade so viel arbeiten, bis es wieder für ein halbes Jahr #Vanlife auf Bali reicht: Asozial ist das nicht. Aber ein gesellschaftliches Problem ist es doch. Denn wenn mehr als jeder vierte Teilzeitbeschäftigte in Österreich ganz offen zugibt, dass er gar keine Vollzeitbeschäftigung wünscht, dann lässt sich ein Sozialstaat, der darauf basiert, dass die einen mehr beitragen als sie müssten, damit die anderen mehr haben, als sie selbst erwirtschaften könnten, auf Dauer nicht am Leben erhalten.
Eine Gesellschaft, die demotivierte Arbeitskräfte durch Mauern oder Arbeitspflicht an die Fließbänder zwingt, ist auf Sand gebaut. Eine, die nicht in ihr Humankapital investiert und den letzten Hacklerinnen und Hacklern per Steuerbescheid die Lust am Arbeiten nimmt, aber auch.
Gastkommentar von Jan Kluge in “Der Standard” (19.08.2024)
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