Innenpolitik

Nichts ist so alt wie die Furcht vor Neuem

Gerade schwappt die vierte Corona-Welle über unser Land. Franz Schellhorn schildert, was nach Ende der Pandemie auf die Regierung zukommt.

Corona-Hilfen auszubezahlen ist kein Regierungsprogramm. Und sich Unmengen von Geld unverzinst von der EZB drucken zu lassen, ist keine Lösung. Die Regierung muss sich schleunigst mit der Post-Corona-Zeit befassen. Der Bedarf an Erneuerung ist überbordend.

Corona-Hilfen auszubezahlen ist kein Regierungsprogramm.

1. Staatsfinanzen in Ordnung bringen. Die Vorbilder sind nicht Italien und Frankreich. Sondern Schweden und Dänemark. Diese Länder haben mit ähnlich hohen Steuer- und Abgabenquoten nur halb so hohe Staatsschulden wie Österreich. Weil die vorwiegend sozialdemokratisch geführten Regierungen beider Nordländer in guten Jahren verlässlich Budgetüberschüsse erwirtschaftet haben. Während Österreich selbst in Boom-Jahren unbeirrt Defizite angehäuft hat. Das muss sich ändern. Weil der Staat mit Rekordeinnahmen das Auslangen finden kann und die Zinsen für die Schulden nicht dauerhaft niedrig bleiben werden. Und weil junge Menschen das Recht auf einen finanzierbaren Staat haben.

2. Ausgaben bremsen. So wie Odysseus sich an den Schiffsmast binden ließ, um nicht dem Sirenengesang nachzugeben, sollte sich die Bundesregierung mit einer Ausgabenbremse vor der Versuchung schützen, sich permanent auf Kosten nachkommender Generationen zu verschulden, um die eigene politische Karriere abzusichern. Die Ausgabenbremse sollte 2024 eingeführt werden, bis dahin sollte die Corona-Pandemie finanziell überwunden sein. Ein Haushaltsplan sollte für die folgenden fünf Jahre festlegen, wie viel Geld in den einzelnen Ressorts ausgegeben werden darf. In Nicht-Krisenzeiten dürfen die Ausgaben nicht stärker wachsen als die Einnahmen. Länder wie die Schweiz, Schweden, Dänemark oder Deutschland zeigen, wie das geht, ohne die sozialen Sicherungssysteme zu gefährden.

3. Hilfen auslaufen lassen. So richtig und wichtig die rasche finanzielle Unterstützung im ersten Lockdown für Arbeitnehmer und Unternehmen war, so notwendig ist jetzt der rasche Ausstieg aus den üppigen Staatshilfen. Sie werden zu teuer und verlieren zunehmend an Wirkung. Das Kurzarbeitsgeld sollte nur mehr in Zeiten von Lockdowns ausgezahlt werden, danach rasch auslaufen. Abgegolten werden sollten nur tatsächlich ausgefallene Stunden. Derzeit bezahlt der Staat allen Arbeitnehmern dasselbe Kurzarbeitsgeld – egal, ob sie 20, 50 oder 80 Prozent arbeiten. Das bietet einen großen Anreiz, möglichst wenig zu arbeiten. Dasselbe gilt für die Unternehmen, die lieber erst gar nicht aufsperren, um nicht Gefahr zu laufen, staatliche Förderungen zu verlieren. Das muss ein Ende haben.

Österreichs Pensionssystem ist in einer gewaltigen finanziellen Schieflage.

4. Anreize für Arbeit erhöhen. Viele Unternehmer müssen mitten in einer verheerenden Krise Aufträge ablehnen, weil sie keine Mitarbeiter finden. Über 100.000 Stellen sind unbesetzt. Gleichzeitig sind 330.000 Menschen arbeitslos und fast 180.000 Menschen in Kurzarbeit. Besonders dramatisch ist der Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit. Um den Anreiz zu erhöhen, sich rasch einen Job zu suchen, sollte das Arbeitslosengeld neu gestaffelt werden. Deutlich mehr zu Beginn, dafür weniger mit Fortdauer der Arbeitssuche. Über einen Gesamtzeitraum von zwei Jahren würde kein Arbeitsloser in Summe Geld verlieren. Nach dieser Frist sollte die bedarfsorientierte Mindestsicherung den nötigen sozialen Schutz bieten.

5. Pensionen sichern. Auch wenn es keiner mehr hören kann: Österreichs Pensionssystem ist in einer gewaltigen finanziellen Schieflage. Die Gründe dafür sind bekannt: Wir gehen viel zu früh in Frühpension. Dabei zahlt niemand für seine eigene Pension ein, jeder Arbeitnehmer und Unternehmer finanziert mit seinen Beiträgen die Pensionen der Vorgängergeneration. Im Vorjahr haben alle Aktiven rund 35 Milliarden Euro in die staatliche Pensionskasse eingezahlt, gleichzeitig wurden 62 Milliarden Euro an Pensionen ausbezahlt. Es fehlen also 27 Milliarden Euro. Das sind die gesamten Lohnsteuereinnahmen von Jänner bis Oktober oder drei Hypo-Alpe-Adrias, die für das Stopfen des Pensionslochs benötigt werden. Und das jedes Jahr. Die Lösung: Das Pensionsalter muss mit der steigenden Lebenserwartung „mitwachsen“.

6. Den Klimaschutz entideologisieren. Aus der Klimakrise werden uns nicht jene führen, die den Untergang prophezeien. Sondern jene, die innovative Lösungen finden. Entscheidend ist, dass diese Lösungen in Europa gefunden werden. Die Bundesregierung sollte sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, nicht Verbrennungsmotoren und Kraftwerkstypen zu verbieten, sondern zu erfüllende Emissionswerte zu definieren. Wie diese zu erreichen sind, sollte nicht der Staat entscheiden, sondern einer möglichst freien Wirtschaft überlassen bleiben. Nur in einem technologieoffenen Umfeld entstehen jene Innovationen, die das Klima retten und unseren hohen Wohlstand sichern.

Die Digitalisierung wird in Österreich wie eine schwer ansteckende Krankheit behandelt.

7. Sozial Schwächere besser bilden. In Österreich kann jeder fünfte Pflichtschüler im Alter von 15 Jahren nicht sinnerfassend lesen. Ebenso viele beherrschen die Grundrechnungsarten nicht. Und das in einem Land mit den dritthöchsten Bildungsausgaben pro Schüler weltweit. Betroffen von schlechter Bildung sind im Sozialstaat Österreich vor allem Kinder von Eltern mit niedriger Bildung und hohem Migrationshintergrund. Deshalb braucht es mehr Geld für Schulen mit Kindern aus einem schwierigen sozialen Umfeld. Aber auch mehr Kontrolle, ob dieses Geld auch zu besseren Ergebnissen der Schüler führt.

8. Die Verwaltung digitalisieren. Die Digitalisierung wird in Österreich wie eine schwer ansteckende Krankheit behandelt, die es rasch einzudämmen gilt. Nichts ist so alt wie die Furcht vor Neuem. Dabei hat insbesondere die Pandemie gezeigt, wie hilfreich die Digitalisierung sein kann, wenn man sie nur lässt. Während Unternehmen innerhalb kürzester Zeit ihre Geschäftsmodelle anpassten, waren öffentliche Stellen über Monate nicht erreichbar. Homeoffice ohne Zugang zu den Servern der Dienststelle. Das darf sich nicht wiederholen. Der Staat sollte seine Verwaltung rasch und radikal digitalisieren. Jobs gehen langfristig nicht dort verloren, wo digitalisiert wird. Sondern dort, wo nicht digitalisiert wird.

9. Das Eigentum fördern. Die Bürger dieses Landes zahlen hohe Steuern und werden dafür vom Staat in allen Belangen versorgt. Das ist schön – allerdings haben die immer weniger werdenden Jungen mit ihren Steuern und Sozialbeiträgen immer mehr Ältere zu finanzieren. Wenn der Regierung schon der Mut zu einer Erneuerung der Sozialsysteme fehlt, sollte sie Jungen die Möglichkeit geben, steuerfrei für sich selbst vorzusorgen. Etwa über den Ausbau der privaten Altersvorsorge (die gerne auch vom norwegischen Staatsfonds verwaltet werden kann). Oder über die Abschaffung der Grunderwerbssteuer für die erste Immobilie. Oder sie sollte es Unternehmen ermöglichen, engagierten Mitarbeitern jedes Jahr bis zu 5000 Euro als steuer- und sozialversicherungsfreien Bonus ausschütten zu dürfen.

10. Mehr Freiheit gewähren. Noch immer schreibt der österreichische Staat seinen Bürgern vor, wer ihre Interessen zu vertreten hat. Und wer sich selbstständig machen darf und wann ein Unternehmen zu- und wann aufzusperren hat. Österreich hat die strengste Gewerbeordnung und den rigidesten Ladenschluss in ganz Europa. Jeder Bürger sollte nach abgeschlossener Lehre und einem Jahr Berufspraxis sein Unternehmen gründen dürfen, es sei denn, es handelt sich um eine Tätigkeit, die Leib und Leben der Kunden gefährdet. Und alle Unternehmer sollen dann ihren Geschäften nachgehen dürfen, wann sie und ihre Beschäftigten das für richtig halten. So wie das in ganz Europa reibungslos funktioniert.

Essay von Franz Schellhorn für die “Kleine Zeitung” (18.1.2021).

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