2016 ist eine willkommene Gelegenheit, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Um Platz für neue zu schaffen.
Er wisse nicht genau, was man unter einer Silvesterstimmung zu verstehen habe, schreibt der Chefredakteur der NZZ.at in seinem letzten Blog des Jahres 2015. Nun ja, das ist eigentlich ganz einfach: Ein Bürger dieses Landes nutzt die letzten Stunden des ausklingenden Jahres in der Regel dazu, Geschäftigkeit vorzutäuschen, seine Lebensmittelreserven aufzufüllen, mehr oder weniger wichtige Freunde zu treffen, die Frisur in Ordnung bringen zu lassen und sich noch ein paar Stunden aufs Ohr zu hauen, um sich am Abend gut ausgeschlafen richtig schön volllaufen zu lassen.
Das neue Jahr wird dann für gewöhnlich mit einem gepflegten Kater und jeder Menge guter Vorsätze begrüßt. Ein neues Jahr gibt nämlich den Menschen in aller Welt das Gefühl, ganz von vorne beginnen zu können. Auch wenn das nicht wirklich stimmt, ist es ein gar nicht so blöder Zugang zum Thema Jahreswechsel. Vor uns liegen schließlich 365 Tage voller Chancen, die Dinge besser zu machen als in den vergangenen zwölf Monaten. Das gilt auch für die Politik. Die anstehenden Verhandlungen zum Finanzausgleich etwa eröffnen die Möglichkeit, einen folgenschweren Fehler aus dem Jahr 2007 wieder gutzumachen. Damals wurden die Länder vom Bund regelrecht im (Steuer)Geld ertränkt, verbunden mit der Hoffnung, dass deren politische Vertreter im Gegenzug zu Reformen bereit sein würden. Oder wie es der damals amtierende Finanzminister Wilhelm Molterer ausdrückte: „Wer in den Ländern und Gemeinden glaubt, dass jetzt sechs Jahre Ruhe ist, täuscht sich aber. Wir haben vereinbart, dass die Staatsreform mit Hochdruck fortgesetzt wird“.
Das war auch nicht ganz gelogen. Etwas mit Hochdruck fortzusetzen, das es wie die Staatsreform gar nicht gibt, ist ja auch nicht wirklich schwer. Das Resultat des Ganzen: Die Steuer zahlenden Bürger überweisen den Ländern heute um knapp 40 Prozent mehr Geld als vor zehn Jahren – und die Länder haben ihre Schulden im genannten Zeitraum mehr als verdreifacht. Finanzminister Hans-Jörg Schelling hat heuer die Chance, die damals gesetzten Fehlanreize zu korrigieren. Wenn die Vertreter von Ländern und Gemeinden schon so herzhaft auf den Föderalismus pochen, sollten sie ihn auch leben und einen höheren Anteil ihrer Ausgaben vor Ort einheben und deren Verwendung vor den zahlenden Bürgern rechtfertigen. Fehlt dazu der politische Wille oder der Mut, kann der Bund ja im Interesse der Steuerzahler mehr Mitsprache bei der Verwendung jener Mittel einfordern, die den föderalen Einheiten überwiesen werden. Beides wäre besser als die österreichische Interpretation der föderalen Planwirtschaft mit mehr Geld auszustatten.
Ganz ohne Zutun der Länder bietet sich Finanzminister Hans-Jörg Schelling heuer die Gelegenheit, von seinem deutschen Ressortkollegen Wolfgang Schäuble abzukupfern. So wird allein 2016 die Belastung des Staatshaushalts durch die Zinsen für den öffentlichen Schuldenberg um eine Milliarde Euro niedriger ausfallen als im zu Ende gegangenen Jahr. Mit diesem von der EZB zugestellten Geschenk kann Herr Schelling (zusammen mit der einen oder anderen Ausgabenkürzung) einen ausgeglichenen Haushalt schaffen, statt sich mit einem „strukturellen Nulldefizit“ zufrieden zu geben.
Der österreichischen Bundesregierung schenkt 2016 eine weitere Gelegenheit, den jüngeren Generationen ein finanzierbares Pensionssystem zu hinterlassen. Die Bürger dieses Landes haben heute eine um elf Jahre höhere Lebenserwartung als 1970, arbeiten aber um sieben Jahre weniger und beziehen um 14 Jahre länger Pension. Um das staatliche Pensionssystem vor dem Kollaps zu retten, gibt es drei Möglichkeiten: Die Pensionen zu kürzen, die Beiträge der Aktiven zu erhöhen oder die rasant wachsende Lebenserwartung zu einem geringen Teil in längeres Arbeiten zu investieren. Letzteres wäre der sozialste Weg, die Pensionen zu sichern.
Würde die österreichische Bundesregierung auch nur eine dieser großen Chancen, die das heurige Jahr zu bieten hat, ergreifen, könnten sich die Steuer zahlenden Bürger am 31. Dezember 2016 nach einem geschäftigen Tag in aller Ruhe aufs Ohr hauen, um sich dann mit gutem Gewissen volllaufen zu lassen. Damit auch der Chefredakteur dieses Mediums weiß, was unter einer österreichischen Silvesterstimmung zu verstehen ist.
(Foto-Credit: Bjørn Erik Pedersen / Wikimedia Commons)
Der Artikel erschien als Gastkommentar auf NZZ.at
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