Mehr arbeiten? Nicht mit uns! In Österreich fließen Milch und Honig
- 19.09.2022
- Lesezeit ca. 4 min
Hierzulande wird verdrängt, dass wir uns in einem Wirtschaftskrieg befinden. Mit einer Vier-Tage-Woche im Home-Office werden wir diesen nicht gewinnen.
Viel zu lachen gibt es dieser Tage ja leider nicht. Umso gelegener kommen Schlagzeilen wie jene aus der „Presse“ vom vergangenen Mittwoch: „Klimabonus wird auch an Tote ausbezahlt.“ Das liegt jetzt weniger daran, dass den Verblichenen besonders kalt wäre. Es ist vielmehr so, dass die auszahlenden Behörden erst mit Verspätung vom Ableben der Begünstigten erfahren. Also dann, wenn der Klimabonus bereits ausgezahlt wurde. Das leuchtet ein.
Wie Anna Thalhammer recherchiert hat, nimmt der Staat das überwiesene Geld aber selbst dann nicht zurück, wenn es die ehrlichen Hinterbliebenen der verstorbenen Begünstigten retournieren wollen. Aber davon lässt sich der österreichische Gießkannen-Förderstaat nicht irritieren, er geht seinen Weg gnadenlos bis zum bitteren Ende.
Nicht mehr erleben werden die Verblichenen die großzügige Stromrechnungsbremse. Vor allem für gewesene Niederösterreicher ist das doppelt schade. Immerhin deckelt der Bund den Preis für eine Kilowattstunde bei zehn Cent. Unabhängig davon schießt das Land seinen Bürgern pro verkaufter kWh noch einmal elf Cent zu. Womit der reine Strom nicht nur nichts mehr kostet, dessen Verbrauch wirft sogar noch Geld ab.
Nein, ich will mich hier nicht über die explodierenden Energiepreise und deren Folgen lustig machen. Dafür ist die Sache viel zu ernst, zumal unzählige Haushalte vor enormen Belastungen stehen. Aber vielleicht wäre es ja keine blöde Idee gewesen, wenn sich Bund und Länder vor dem großen Geldverteilen zusammengesetzt und ihre Pläne koordiniert hätten. Möglicherweise wäre es auch eine passable Option gewesen, sich mit Einmalzahlungen rasch um jene zu kümmern, die besonders dringend auf die Hilfe der Solidargemeinschaft angewiesen sind. Statt eine Stromrechnungsbremse einzuführen, die kleine Haushalte überfördert.
Während Österreich mit nicht vorhandenem Geld geflutet wird, geht es im etatistischen Frankreich weniger lustig zu. Das Pensionsantrittsalter wird erhöht, die geplante Steuerentlastung auf mehrere Jahre gestreckt, der Tankrabatt Ende des Jahres auslaufen. Zudem werden die Energiepreise im kommenden Jahr weniger stark vom Staat subventioniert als dies heuer der Fall ist. Schließlich könnten nicht alle Kosten auf den Schultern des Staates lasten, wie Finanzminister Bruno Lemaire festhielt. Deshalb müsse der Wohlstand der Bevölkerung nicht zuletzt über mehr Arbeit abgesichert werden.
Über derartige Grausamkeiten spricht hierzulande niemand. Wir leben offensichtlich noch immer im einzigen Land der Welt, in dem Milch und Honig fließen. Mehr arbeiten, um den Wohlstand abzusichern? Nicht mit uns! Den Auslandsurlaub kürzen oder gar verschieben, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten finanzieren zu können? Sicher nicht!
Den persönlichen Lebensstandard im Zuge einer schweren Energiekrise auch nur um einen Zentimeter nach unten schrauben zu müssen, wird als unzulässiger Eingriff in die Grundrechte verstanden. So pocht der SPÖ-Pensionistenverband auf Pensionserhöhungen jenseits der zehn Prozent. Gleichzeitig kommt es heute zu den ersten landesweiten Demonstrationen gegen die hohe Teuerung. Auf die Straße getrieben werden die Menschen von der Gewerkschaft.
Nun kann man ja der Meinung sein, dass die sündteuren Rechnungsbremsen und die knapp 40 Milliarden Euro schweren Antiteuerungspakete der Regierung noch immer nicht genug sind und für alle Unbill die Solidargemeinschaft aufzukommen hat. Aber muss man die Debatte darüber wirklich auf die Straße verlegen?
Irgendwie scheint hierzulande noch nicht ganz durchgesickert zu sein, dass sich das Land im Kriegszustand befindet. Gekämpft wird mit Rohstoffen und Hightechgütern. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir diesen Wirtschaftskrieg mit einer generellen Vier-Tage-Woche im Home-Office und zweistelligen Pensionserhöhungen gewinnen werden. Vielmehr werden wir mit Wohlstandsverlusten zu leben haben. Das ist unerfreulich, aber machbar. Solange wir den Humor nicht verlieren und wenigstens über den Klimabonus für Tote schmunzeln können. Viel mehr Grund zu lachen wird es in nächster Zeit nicht geben.
Kolumne von Franz Schellhorn in der “Presse” (17.09.2022).
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