Wer den Gender Pay Gap schließen will, wird an kürzeren Karenzzeiten mit stärkerer Einbindung der Väter nicht vorbeikommen. – Kommentar von Franz Schellhorn
In der politischen Debatte ist die Übertreibung ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel. Vor allem, wenn es darum geht, einem wichtigen Thema breite Aufmerksamkeit zu sichern. Wie das funktioniert, lässt sich alljährlich am Weltfrauentag beobachten, wenn die zwischen Frauen und Männern klaffende Gehaltsschere beklagt wird. Dem Onlineportal des ORF zufolge liegt der Gender Pay Gap nämlich schon bei flotten 38 Prozent. Sapperlot! Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Damen und Herren des digitalen Öffentlich-Rechtlichen wohl etwas unter Zeitdruck standen und Glühbirnen mit Granatäpfeln verglichen haben.
So beziffert etwa die Statistik Austria den Gehaltsunterschied pro geleisteter Arbeitsstunde mit 20,1 Prozent. Das liegt schon näher an der Wahrheit, stimmt aber auch nur dann, wenn Einkommen von Friseuren jenen von Maschinenbauern gegenübergestellt werden. Nun ist es zwar ziemlich seltsam, wenn eine offizielle Statistikbehörde nur mit unbereinigten Zahlen operiert, aber das wird schon seine Gründe haben.
Das Statistische Bundesamt in Deutschland macht es jedenfalls anders und zeigt Vergleichbares mit Vergleichbarem. Werden die Löhne von Frauen und Männern verglichen, die gleiche Tätigkeiten ausüben, gleich viel Berufserfahrung haben und über die gleiche Ausbildung verfügen, dann reduziert sich der Lohnunterschied um mindestens die Hälfte. In Österreich ergibt dieser Vergleich eine bereinigte Lohnlücke von 3,5 bis 11,2 Prozent, wie meine Kollegin Monika Köppl-Turyna in ihrer Studie „Mind the Gap“ berechnet hat. Das ist der nicht erklärbare Lohnunterschied. Was noch nicht heißt, dass es sich um Diskriminierung handelt – man weiß es eben nicht.
Die tatsächliche Lohnlücke ist also kleiner, was sie aber nicht besser macht. Sie ist auf jeden Fall da und kein Hirngespinst. Vorrangig ist, die erklärbaren Unterschiede zu identifizieren, weil nur diese änderbar sind. Hilfreich dabei ist eine aktuelle dänische Studie, die zeigt, dass Frauen zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes um 23 Prozent weniger verdienen als Frauen ohne Kinder. Nun ist Dänemark nicht gerade für knallharte patriarchalische Strukturen bekannt, was wiederum den Schluss zulässt, dass der Gender Pay Gap ein Motherhood Pay Gap ist.
Mutter zu werden, heißt nicht nur in Dänemark, auf sehr viel Einkommen zu verzichten, sondern auch in Österreich. Hierzulande wird die Situation noch durch das Recht auf Teilzeit in Verbindung mit dem Senioritätsprinzip in der Entlohnung verschärft. Je länger jemand ohne Unterbrechung am selben Arbeitsplatz verbringt, desto schneller geht es auf der Gehaltsleiter nach oben. Das gilt insbesondere für Männer, weil vor allem Frauen in Karenz gehen und danach – wenn überhaupt – Teilzeit arbeiten.
Warum das so ist, habe vor allem kulturelle Gründe, wie das feministische Lager betont. Da ist was dran. Es beginnt schon einmal damit, dass sich Frauen, die ihr Kind fremdbetreuen lassen, Rabenmütter schimpfen lassen müssen. Und Männer – auch wenn sie ihrer Vorgängergeneration in Sachen Kinderbetreuung um Lichtjahre voraus sind – kaum länger als zwei Monate in Karenz gehen, wenn überhaupt. Das übrigens mit dem Hinweis, dass lange Väterkarenzen zu hohe Einschnitte für das Familienbudget bedeuteten. Wer das so sieht, sollte mal den Taschenrechner anwerfen und ausrechnen, wie stark das Familienbudget durch 20 Monate Mütterkarenz sinkt. In Wahrheit haben viele Männer entweder keine Lust, sich um ihre Kinder zu kümmern, oder sie fürchten spöttelnde Reaktionen von Kollegen und Vorgesetzten, sind also zu feig.
Mit anderen Worten: Wer die Gehaltsschere schließen will, muss das Karenzmodell ändern und Männern starke Anreize bieten, mehr Gebrauch davon zu machen. Beispielsweise für jeden Elternteil höchstens ein Jahr, der nicht in Anspruch genommene Teil verfällt. Nach dem zweiten Jahr des Kindes sollte es einen Betreuungsscheck geben, der in öffentlichen wie privaten Einrichtungen eingelöst werden kann, auch bei den Eltern. Zudem ist das Senioritätsprinzip in der Entlohnung durch ein Leistungsprinzip zu ersetzen.
Unabhängig davon sollten aber Frauenrechtlerinnen wie Konservative endlich akzeptieren, dass die Betreuung von Kindern eine zutiefst private Entscheidung ist und auch bleiben soll. Dazu gehört auch, dass sich Paare frühzeitig und eingehend darüber unterhalten, ob sie Kinder haben wollen und wie sie sich deren Betreuung vorstellen. Bevor sie Kinder bekommen, nicht danach. Sollten sie zum Schluss kommen, dass sie die Betreuung Dritten überantworten, fein. Sollten sie meinen, dass sie die eigenen Kinder selbst betreuen wollen, auch fein.
Wer seine Kinder früh in den Kindergarten gibt, gehört nicht gleich zu den Rabeneltern – genauso wenig wie jemand, der selbst für seine Kinder da sein will, ein verstaubtes Relikt aus reaktionären Zeiten ist. Auch wenn die Übertreibung in der politischen Debatte ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel ist.
Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 10.03.2018
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