Die Lohnverhandlungen stehen unter keinem guten Stern. Alle wichtigen Daten, Aussichten, Fragen und Lösungen.
Die bevorstehenden Lohnverhandlungen werden so spannend wie ein guter Boxkampf. Die Gewerkschaften werden mindestens einen Inflationsausgleich verlangen und hätten sicher nichts dagegen, sogar – wie im Vorjahr – darüber abzuschließen. Doch viele Unternehmen wissen nicht, wo sie die immer weiter gestiegenen Kosten – nicht nur für den Faktor Arbeit – noch unterbringen sollen. Die eingeübten Rituale bei österreichischen Lohnverhandlungen könnten dieses Mal nicht ausreichen.
Dass Löhne generell an die Inflation angepasst werden, ist in Österreich übliche Praxis und eine gute Sache. Dauerhafte Reallohnverluste gibt es daher praktisch nie. Der gängige, nach dem österreichischen Gewerkschafter Anton Benya benannte Anpassungsmechanismus spricht den Arbeitnehmern darüber hinaus auch einen Teil der Produktivitätsgewinne zu; daher verläuft der Tariflohnindex typischerweise oberhalb der Entwicklung des Verbraucherpreisindex (vgl. Abb. 1).
Nur wenn die Inflation sprunghaft steigt, kommt es zu einem Verzögerungseffekt: Da die rollierende Inflation der vergangenen zwölf Monate ausschlaggebend ist, kann es zu vorübergehenden Reallohnverlusten kommen; das war im Jahr 2022 der Fall. Sobald die Inflationsraten aber wieder sinken, dreht sich das Bild. Die Tariflohnsteigerungen liegen dann oberhalb der aktuellen Inflation und so kommt allmählich alles wieder ins Lot. Daher war Inflation in früheren Lohnverhandlungen selten ein allzu großes Thema. Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter mussten sich „nur“ darüber einig werden, wie viel aufgrund von Produktivitätssteigerungen noch auf den Inflationsausgleich obendrauf kommen sollte. Doch gut möglich, dass das dieses Jahr nicht viel sein kann. Es scheint fraglich, ob die Abschlüsse wie im letzten Jahr wieder deutlich über der rollierenden Inflation liegen werden. Schließlich würde allein der Inflationsausgleich heuer erheblich höhere Abschlüsse erfordern als im Vorjahr (vgl. Abb. 2). Das dürfte vielen Arbeitgebern die Sorgenfalten auf die Stirn zeichnen. Schließlich sind auch die Kosten für Vorleistungen, Rohstoffe und Energie in vielen Bereichen weiterhin hoch. Der schon ausgehandelte Abschluss der Fleischer zeigt, dass es nicht viel Luft nach oben zu geben scheint: Die rollierende Inflation von Juli 2022 bis Juni 2023 lag bei 9,91 Prozent (vgl. Abb. 2); abgeschlossen haben sie mit 9,92 Prozent.
Von Seiten der Arbeitnehmer ist dennoch klar: Die Reallohnverluste des letzten Jahres sollen jetzt aufgeholt werden. Der Zeitpunkt scheint günstig, denn der allgegenwärtige Arbeitskräftemangel bietet eine starke Verhandlungsposition. Doch muss man wirklich schon die Nägel in die Boxhandschuhe packen? Immerhin hat sich die österreichische Einkommenssituation in den letzten Jahren nicht so schlecht entwickelt. Der Budgetdienst teilte erst vor wenigen Wochen mit, dass die realen Arbeitseinkommen hierzulande zwischen 2019 und 2022 leicht gestiegen sind und durch umfangreiche staatliche Transfers deutlich stärker aufgestockt wurden als in vielen anderen Ländern[1]. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) zeigt, dass die realen verfügbaren Haushaltseinkommen 2022 und in der Prognose auch für 2023 wenigstens stabil waren; für 2024 wird sogar ein recht deutliches Plus erwartet (vgl. Abb. 3).[2]
Nun müssen die Gewerkschaften die staatlichen Hilfen, die diese Effekte erst möglich gemacht haben, natürlich nicht in ihr Kalkül miteinbeziehen (und das werden sie auch nicht). Aber etwas schade ums Steuergeld ist es schon, wenn die Regierung die Einkommen stützt, die Löhne dann aber trotzdem so steigen sollen, als ob nichts gewesen wäre. Die helfende Hand der Regierung haben die Gewerkschaften schon im letzten Jahr ausgeschlagen, als sie die steuerfreien Einmalzahlungen, mit denen man die Menschen angesichts akut steigender Preise wohl schneller und deutlicher hätte entlasten können, entrüstet ablehnten.
Betrachtet man die ökonomische Großwetterlage, dann ist nicht so klar, ob der Zeitpunkt für satte Lohnerhöhungen der richtige ist. Die Prognosen lassen für dieses Jahr kein Wachstum erwarten. Auch die Aussichten sind eher trübe; zumal als ausgemacht gilt, dass die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZBDie Europäische Zentralbank (EZB; englisch European Central Bank, ECB; französisch Banque centrale européenne, BCE) mit Sitz in Frankfurt am Main ist ein Organ der Europäischen Union. Sie ist die 1998 gegründete gemeinsame Währungsbehörde der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion und bildet mit den nationalen Zentralbanken (NZB) der EU-Staaten das Europäische System der Zentralbanken (ESZB).) die Konjunktur noch weiter abbremsen muss, um die Inflation unter Kontrolle zu bekommen. Von hohen Lohnabschlüssen kann die Gefahr ausgehen, dass sowohl die Wachstumsaussichten sich weiter verschlechtern als auch dass die Inflation weiter befeuert wird. Laut Schätzungen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) erhöht ein Lohnabschluss in Höhe von zehn Prozent – was in etwa den minimalen Erwartungen der Arbeitnehmerseite entsprechen dürfte – die Inflation im Land um drei Prozentpunkte[3]. Die OeNB weist darauf hin, dass diese Schätzung sogar noch eher konservativ sein könnte, da der Pass-Through mit Daten aus der Vergangenheit geschätzt wurde, als die Inflationsraten noch deutlich niedriger waren. Wenn die Abschlüsse der traditionellen Benya-Formel folgen oder sogar darüber hinaus gehen sollen, dann müssen die Löhne also nicht nur dieses Jahr kräftig steigen, sondern auch in den kommenden Jahren. Was macht das auf Dauer mit der Wettbewerbsposition eines Landes?
Eine Einordnung der Agenda Austria
Die Einführung des 12-Stunden-Tags lässt die Wogen hochgehen, auch wenn Österreich dadurch noch nicht zu den flexibelsten Ländern in Sachen Arbeitszeit gehört. Eine Einordnung.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
Lernen Sie uns kennenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie müssen den Inhalt von reCAPTCHA laden, um das Formular abzuschicken. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten mit Drittanbietern ausgetauscht werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen