Dreimal kommt Dänemark im „Österreichplan“ des Bundeskanzlers vor. Aber an den richtigen Stellen? Wenn, dann sollte man sich nicht nur die Migrationspolitik des Musterstaates abschauen. Es braucht einen „Østerreichplan“!
Regieren ist eigentlich keine Raketenwissenschaft. Fast 200 Länder gibt es auf der Erde; und genauso viele Regierungen, die jeden Tag kluge und dumme Dinge tun. Demokratische Regierungen werden für die klugen wiedergewählt; undemokratische bekommen für die dummen ihre Paläste angezündet. Reichlich Anschauungsmaterial also, aus dem eine österreichische Regierung nur die Filetstücke herausschneiden müsste; nur die Maßnahmen, die in anderen Ländern erfolgreich waren. Auf neudeutsch nennt man das Best Practice.
Der geübte Blick spürt Best Practice an den überraschendsten Orten auf. Für Digitalisierungspolitik sollte man nach Estland schauen, für Agrarpolitik ist Neuseeland eine gute Anlaufstelle, bildungspolitisch scheint man in Fernost ein paar Dinge richtig zu machen, die Schweden und die Schweizer wissen, wie man einen modernen Staatshaushalt führt. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden.
Doch mit Best Practice braucht man den heimischen Wählerinnen und Wählern nicht zu kommen. Wäre ja noch schöner! Wer Estland so super findet, der kann ja gehen. Nein, wer die Herzen des Volkes erobern will, der sollte sich hüten, das Land schlechtzureden. Wer seit über dreißig Jahren auf der Regierungsbank sitzt, sollte vielleicht sogar aktiv verschweigen, dass die Dinge andernorts besser laufen.
Und daher schmort Karl Nehammers „Österreichplan“ ziemlich im eigenen Saft. Nur wenige Länder finden darin überhaupt Erwähnung. Frankreich kommt kurz vor: Nach dem Vorbild der Académie des Beaux-Arts sei eine Akademie der Kultur zu gründen. Die neutrale Schweiz wird als Rechtfertigung dafür herangezogen, dass wir dem European Sky Shield beitreten. Nicht dass es dafür noch eine Rechtfertigung gebraucht hätte, aber bevor erst jemand fragt: Die da haben es ja auch gemacht!
Das einzige Land, das gleich mehrfach auftaucht, ist Dänemark. Auf den Seiten 13, 51 und 55. Nun könnte man das naheliegend finden. Schließlich hat sich Dänemark zu einem Musterstaat entwickelt, der auf fast allen Gebieten mühelos reüssiert. Höchstes BIP pro Kopf in der EU (wenn man von Luxemburg und Irland absieht). Mit einer der niedrigsten Staatsschuldenquoten der bekannten Welt führen die Dänen den besten Sozialstaat, den es wohl seit dem Garten Eden jemals gegeben hat; das Ergebnis ist Platz eins im Social Progress Index. Platz eins auch im IMD World Competitiveness Ranking. Platz eins im Corruption Perceptions Index. Platz vier im Climate Change Performance Index; einem Ranking, in dem die ersten drei Plätze aus Gründen der Symbolik gar nicht vergeben werden.
Man könnte ewig so weitermachen. Dieser Text würde dann aber die Abnehmspritze brauchen, die von der dänischen Firma Novo Nordisk entwickelt wurde; dem inzwischen wertvollsten Unternehmen Europas.
Doch ist es irgendetwas davon, was Kanzler und ÖVP-Chef Nehammer imponiert hat? Nein, er findet Dänemark nur dort interessant, wo es hart gegen Migrantinnen und Migranten ist. Die Dänen gewähren nämlich Sozialleistungen erst nach fünf Jahren legalem Aufenthalt. Außerdem gefällt ihnen seit Jahren die Idee, straffällig gewordene Drittstaatler aus dem Land zu bugsieren. Und was für die sozialdemokratischen Menschenfreunde in Kopenhagen richtig ist, das kann man uns doch nicht ankreiden, oder? Selbst beinharte Law-and-Order-Politikerinnen und Politiker brauchen hierzulande offenbar immer jemanden, hinter dem sie sich verstecken können. Auch die Bezahlkarte für Asylwerberinnen und Asylwerber würde man sich ohne die Deutschen nie trauen.
Nun könnte man ja verstehen, dass ein konservativer Parteichef auch mal weiter rechts fischen geht. Mit etwas Glück zappeln ja bald ein paar verirrte Wählerinnen und Wähler im Netz. Die blühende Fantasie der Österreicher zum Thema Bezahlkarte und die vielen Verwendungen, für die sie ihrer Meinung nach jedenfalls gesperrt gehöre, lässt diesen Versuch sogar auf verstörende Weise aussichtsreich erscheinen. Dasselbe Volk, das nachts wach liegt, weil es Angst hat, das Bargeld könne ihm abgeschafft werden, schnappt schon begierig nach dem Köder.
Doch wenn man sich schon vorgenommen hat, die FPÖ an der rechten Wand zu zermalmen, warum dann nicht das (Un)angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Es gäbe so viel mehr von Dänemark zu lernen. Der „Österreichplan“ könnte davon nur profitieren. Wer eine flächendeckende Kinderbetreuung anstrebt, der könnte bei den Dänen nachfragen, wie man das macht. Mehr als zwei Drittel der unter Dreijährigen sind dort in Ganztagesbetreuung (bei uns nur acht Prozent); daher schaffen es zwei Drittel der erwerbstätigen Frauen, Vollzeit zu arbeiten (bei uns nur die Hälfte).
Die Dänen haben auch das degressive Arbeitslosengeld, über das bei uns seit Jahren gesprochen wird; mit anfänglich rund 80 Prozent Nettoersatzrate (bei uns 55 Prozent) aber begrenzter Bezugsdauer. Auch deshalb sind Arbeitslose kaum irgendwo in Europa kürzer arbeitslos als in Dänemark. Und wenn die Dänen dann doch Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren wollen, dann machen sie selbst das besser als wir; drei Viertel der Ukrainerinnen und Ukrainer in Dänemark gehen einer Beschäftigung nach.
Muss Österreich also Österreich bleiben? Nein. Besser, es würde Østerreich.
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