Wie Österreichs Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent zu drücken wäre, ohne auch nur einen Cent an Ausgaben zu kürzen. - Kommentar von Franz Schellhorn
Als der schönste und erfolgreichste Finanzminister aller Zeiten vor vielen Jahren durch das idyllische Österreich tourte, spielten sich denkwürdige Szenen ab. Vor heimischen Unternehmern lüftete „KHG“ das Geheimnis, wie er das Nulldefizit (fast) erreicht hatte: mit der höchsten Steuer- und Abgabenquote in der Geschichte des Landes.
In vielen anderen Staaten wären überreife Eier und andere Dinge auf die Bühne geschleudert worden, begleitet von höchst eindeutigen Schmähungen. Schließlich hatten all jene, die Jahrzehnte auf den ersten nichtsozialistischen Finanzminister warten mussten, mit einer kräftigen Ausgabenkürzung gerechnet, nicht aber mit einer Rekordbelastung von 45,4 Prozent des BIP. Aber es gab weder Schmähungen noch Buhrufe, es gab Standing Ovations. Der in Sachen Kommunikation kaum zu übertreffende Minister hatte seine Botschaft nämlich in eine flammende Dankesrede verpackt: Er dankte den Unternehmern dafür, dass sie den ausgeglichenen Haushalt mit ihrer hohen Steuerleistung überhaupt erst möglich machten.
Das alles wäre nicht weiter erwähnenswert, spielte sich heute nicht Ähnliches in umgekehrter Richtung ab. Der designierte ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat kürzlich in Aussicht gestellt, die Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung senken zu wollen. Standing Ovations gab es keine, dafür jede Menge Kritik und viele entsetzte Gesichter. Sinkende Steuerquoten werden hierzulande eben noch immer mit radikalen Sparkursen gleichgesetzt.
Die Redaktionen heimischer Medien wiederum scheuen keine Mühe, um zu zeigen, dass eine Reduktion der Steuer- und Abgabenquote von derzeit 43,4 auf 40 Prozent des BIP völlig illusorisch und politisch auch nicht durchsetzbar sei. 3,4 Prozent des BIP entsprechen immerhin einer Summe von rund 13 Milliarden Euro, die dem Staat entgingen – und das pro Jahr. Derartige Summen seien unmöglich einzusparen, zumal das die allseits bekannten Widerständler aus den Ländern und diversen Lobby-Gruppen schon zu verhindern wüssten. Schließlich hätten sie andernfalls weniger Umverteilung zu erwarten. Auch Experten renommierter Forschungsinstitute sprechen von einer nahezu übermenschlichen Aufgabe. Das ist insofern interessant, als eine derartige Absenkung der Steuer- und Abgabenquote zwar ehrgeizig, aber keineswegs unmöglich ist. Sie ist sogar zu schaffen, ohne auch nur einen einzigen Kugelschreiber einzusparen. Allein wenn die Wirtschaft des Landes in den nächsten fünf Jahren real um 1,5 Prozent wüchse und die Steuern und Abgaben nicht schneller stiegen als die Inflationsrate, läge die Steuer- und Abgabenquote automatisch bei 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, ohne dass auch nur ein einziges Budget gekürzt werden müsste.
Das glauben Sie nicht? Dann nehmen wir doch der Einfachheit halber an, dass die Inflationsrate in den kommenden fünf Jahren bei zwei Prozent liegen wird. Bei einem Realwachstum von 1,5 Prozent würde die Wirtschaft inklusive Inflation nominell also um 3,5 Prozent pro Jahr zulegen. Reale Wachstumsraten dieser Größenordnung sind nicht illusorisch; allein in den vergangenen 20 Jahren wurden sie 13 Mal erreicht oder übertroffen. Auch für die nächsten Jahre liegen die Prognosen über diesem Wert. In diesem Fall würde die Wirtschaftsleistung Österreichs innerhalb der nächsten fünf Jahre von 350 Milliarden Euro auf 415 Milliarden Euro zulegen, die Steuern und Abgaben von 151 Milliarden Euro auf 166 Milliarden Euro. Womit die Steuer- und Abgabenquote bei 40,1 Prozent des BIP läge – obwohl die Einnahmen sowie die öffentlichen Ausgaben um etwas mehr als zehn Prozent höher liegen könnten als heute.
Mit anderen Worten: Spielt die Konjunktur mit, erfüllt sich das Ziel von selbst, vorausgesetzt, dass auch das Wachstum der öffentlichen Ausgaben gebremst wird. Sie sollten keinesfalls schneller als die erwartete Inflationsrate steigen. Genau das ist der Knackpunkt. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass wegen guter Konjunktur überraschend stark steigende Einnahmen nicht gleich wieder ausgegeben, sondern in Form von Steuersenkungen an die Bevölkerung retourniert werden. Auf ähnliche Weise hat Schweden seine Abgabenquote von 50 Prozent auf österreichisches Niveau gedrückt, Deutschland praktiziert derzeit Vergleichbares. Mehrausgaben zu bremsen, heißt eben noch lange nicht einsparen.
Vergleichsweise originell ist auch der Hinweis, dass an der Umsetzung derartiger Steuerpläne in Österreich noch jede Regierung gescheitert sei. Wo es doch gerade zehn Jahre her ist, dass diese als unmöglich erachtete Quotensenkung gelang: Unter Wolfgang Schüssel wurde die Steuer- und Abgabenquote zwischen 2001 und 2006 um exakt 3,7 Prozentpunkte auf 41,7 Prozent gesenkt, also in etwa um jene Quote, um die es derzeit geht. Übrigens dank hoher Wachstums und Ausgabendisziplin. Standing Ovations gab es dafür keine – aber das ist eine andere Geschichte.
Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 17.06.2017
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