Die Inflation hat den Staat von einem Einnahmenrekord zum nächsten getragen. Aber noch höher sind die Ausgaben. Demnächst wird das Defizit die EU-Regeln sprengen. Höchste Zeit, etwas zu unternehmen – auch bei den Pensionen.
Im Herbst wählt Österreich eine neue Regierung, und sowohl die ÖVP als auch die SPÖ haben bereits kundgetan, was sie so alles vorhaben, falls sie danach die Verantwortung übertragen bekommen. Doch bevor eine neue Regierung mit der Umsetzung ihres Programms beginnen kann, wird sie sich erst einmal mit den Altlasten befassen müssen. Denn Österreich wird 2024 nicht nur wie üblich neue Schulden machen. Das allein wäre nicht überraschend; der einzige Budgetüberschuss im Bund in den letzten 50 Jahren passierte im Jahr 2019. Glaubt man dem Fiskalrat, dem Hüter der Staatsfinanzen, wird die nächste Neuverschuldung allerdings so hoch ausfallen, dass Österreich nicht einmal mehr die EU-Regeln aus dem Stabilitätspakt einhalten kann. Schuld daran sind natürlich immer die anderen; schließlich gab es mit Pandemie und Ukrainekrieg zwei Krisen, und nun fehlt es schlichtweg an Wachstum.
Ganz unschuldig ist die aktuelle Regierung freilich nicht. Gerade die Inflation hat ihr zu Beginn enorme Spielräume verschafft. Mit den Preisen stiegen auch die Einnahmen aus Umsatz-, Lohn-, und Körperschaftsteuer massiv an. Lagen die Einnahmen des Bundes nach Überweisungen an Länder, Gemeinden und EU 2019 noch bei knapp unter 80 Milliarden Euro, so werden sie heuer erstmalig die 100-Milliarden-Euro-Marke sprengen. Immerhin ein Plus von rund 30 Prozent in fünf Jahren und nebenbei auch mehr als die Preissteigerung im gleichen Zeitraum. Unter einer Regierung, die sich rühmt, die Bürgerinnen und Bürger entlastet zu haben, sind die Einnahmen aus Steuern und Abgaben in Relation zur Wirtschaftsleistung sogar gestiegen. Vor diesem Hintergrund wirken auch die Forderungen nach neuen Steuern in Österreich grotesk.
Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres beläuft sich das Defizit des Bundes auf rund acht Milliarden Euro. Der österreichische Staat hat mit der viel zitierten schwäbischen Hausfrau leider viel weniger gemein, als er vorgibt. Österreich gleicht eher einem Kreditkartenbesitzer mit Kaufsucht. Wie ist das möglich, wo doch die Einnahmen nur so sprudeln? Ganz einfach: Viele Milliarden flossen in zusätzliche Subventionen, höhere Sozialleistungen und eine besonders hurtige Inflationsabgeltung der Staatsbediensteten. Das restliche “Kleingeld” wurde dann in Boni gesteckt: Antiteuerungs-, Klima-, Reparatur- und Handwerkerbonus. Außerdem im Angebot: Klimaticket, Strompreisbremse und die Förderung von Lastenfahrrädern, um nur einige zu nennen.
Österreich hat auch nach 17 Jahren mit konservativen Finanzministern ein massives Ausgabenproblem. Während es etwa in Schweden völlig selbstverständlich ist, dass nur ausgegeben werden kann, was auch eingenommen wird, glaubt die Politik in Österreich, dass man Wahlen am ehesten gewinnt, wenn man möglichst viel Geld verteilt. Kleine Einschränkung: In dieser Hinsicht hat sich die aktuelle Regierung auch ein Lob verdient. Mit der Abschaffung der Inflationssteuer, der kalten Progression – zwar nicht vollständig, aber wenigstens zum größten Teil –, wurde wenigstens das Theater um eine imaginäre Steuersenkung vor jeder Wahl beendet.
Besonders gern beschenkt die heimische Politik die Pensionistinnen und Pensionisten. Das hat gleich zwei Vorteile: Zum einen stellt diese Gruppe einen großen Teil der Wahlberechtigten. Zum anderen wirkt das auch besonders nett und sozial. Nur wer kein Herz hat, gönnt Omi und Opi nicht ein paar Euro zusätzlich in der Tasche. Einwenden könnte man höchstens, dass Omi und Opi ohnehin schon im großzügigsten Pensionssystem der Welt leben. Seit Jahrzehnten wird zugunsten der älteren Generation umverteilt. Österreich gibt heuer etwa 30 Milliarden Euro mehr für Pensionen aus, als die gegenwärtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzahlen; Tendenz rasch steigend. Oder anders gesagt: Das Stopfen des Pensionslochs kostet bereits mehr als doppelt so viel wie die Ausbildung unserer Kinder. Laut Fiskalrat sorgten allein die Änderungen im Pensionssystem während der vergangenen sieben Jahre für Mehrkosten in Höhe von 7,5 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass je Erwerbstätigen rund 1700 Euro zusätzlich in die Pensionszahlungen geflossen sind.
Das Pensionssystem zu reformieren gilt als politisches Todesurteil. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Allein von 2024 bis 2027 wird der Pensionszuschuss hauptsächlich durch die Alterung der Bevölkerung um fast sechs Milliarden Euro steigen. Wer immer in der nächsten Regierung sitzen wird, muss sich dieser Realität stellen. Ohne strukturelle Reformen am Arbeitsmarkt und im Sozialsystem fehlt Österreich der finanzielle Spielraum – ganz egal, was in den Wahlprogrammen jetzt so alles drinsteht.
Gastkommentar von Dénes Kucsera, Hanno Lorenz in “Der Standard” (17.5.2024).
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