COVID-19

In Österreich möchte man gerne Virus sein

In schweren Krisen erwarten sich Bürger von einer Regierung klare Entscheidungen. Dafür scheint sich in Österreich niemand zuständig zu fühlen.

Das Leben ist nicht immer fair. Während in israelischen Spitälern eine Covid-Station nach der anderen zusperrt und Länder wie die USA oder Großbritannien weite Teile ihrer Bevölkerung gegen Corona immunisiert haben, fehlt es in Österreich an Impfstoffen. Fast drei Viertel der über 65-Jährigen sind noch nicht geimpft, sie gehen ungeschützt in die dritte Infektionswelle. Und damit jene Hochrisikogruppe, die von Gesundheitsminister Rudolf Anschober als besonders schützenswert eingestuft wird. In der Bevölkerung wachsen Unmut und Verunsicherung. Aber wie um Himmels willen konnte es nur so weit kommen? Ein Erklärungsversuch.

Nichts ist schlimmer in einer Krise, als keine klaren Entscheidungen zu treffen.

Erstens: Nichts ist schlimmer in einer Krise, als keine klaren Entscheidungen zu treffen. Dafür scheint sich aber in der Regierung niemand wirklich zuständig zu fühlen. Weder Bundeskanzler Sebastian Kurz noch Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der in der „ZIB 2“ vergangenen Montag einen etwas verlorenen Eindruck machte. Wörtlich meinte er: „Was glauben Sie, was ich mache? Ich dränge, ich drücke, ich fordere!“ Nur entscheiden tut er leider nicht. Vielmehr hat der Gesundheitsminister die nächsten Schritte mit den Landeshauptleuten ausgedealt. In Österreich möchte man gerne Virus sein. Wir sind weltweit der einzige Staat, der diese Pandemie im sozialpartnerschaftlich angehauchten Konsens zu besiegen versucht.

Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker ließ es sich nicht nehmen, den Gesundheitsminister auf den letzten Stand in Sachen Staatsverwaltung zu bringen. Die gesundheitspolitische Verantwortung trage der Gesundheitsminister. „Die Länder sind dazu aufgerufen, seine als notwendig erkannten Forderungen und Maßnahmen umzusetzen und nicht zu relativieren“. Die Bevölkerung erwartet sich von der Regierung eine klare und nachvollziehbare Linie. Eine Entscheidung eben. Wäre es anders, hieße der Bundeskanzler der Republik auch heute noch Werner Faymann.

Zweitens tun sich natürlich jene Staaten leichter, die über eine geradlinige Struktur verfügen. Dänemark zum Beispiel. Das ganze Land hat fünf Regionen und nur 98 Gemeinden, das sind um zwei mehr als das kleine Vorarlberg. Es gibt keine Bezirke, dafür kurze Entscheidungswege. Österreich hat 2095 Gemeinden und 79 Bezirke. Hierzulande liegt das Problem zwar nur in zweiter Linie in den föderalen Strukturen, dennoch sollten wir uns an Dänemark orientieren. Schließlich braucht niemand Bezirksverwaltungen, die ihren steuerlich hoch belasteten Bürgern ausrichten, völlig überfordert zu sein.

Nur knapp ein Viertel der über 65-Jährigen wurde zumindest ein Mal geimpft. Dafür auffallend viele Jüngere.

Drittens erhärtet sich der Verdacht, dass nicht nur die Bezirksebene mit der Situation schwer überfordert ist, sondern die gesamte Staatsverwaltung. In Zeiten einer Pandemie ist so etwas tödlich. Noch immer warten ältere Menschen auf einen Impftermin, obwohl diese Gruppe von der Politik immer wieder als „prioritär“ eingestuft wurde. Nur knapp ein Viertel der über 65-Jährigen wurde zumindest ein Mal geimpft. Dafür auffallend viele Jüngere.

Nicht nur Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Lehrkräfte. Auch Bürgermeister, Tierarzt-Assistentinnen, Uni-Lektoren im Fernunterricht, Ehrenobmänner des Roten Kreuzes und Schlauchträger bei der Feuerwehr. Dass das auch mit den Problemen bei AstraZeneca zu tun hat, ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung. Geimpft wurde und wird nicht nur zu langsam, sondern auch an den Zielgruppen vorbei. Die USA und Großbritannien haben sich Manager aus Wirtschaft geholt, die einen zügigen Impfprozess organisierten. Niemand hat die österreichische Bundesregierung daran gehindert, es genauso zu machen.

Viertens weiß niemand mehr, was genau die Regierung eigentlich vorhat.

Viertens weiß niemand mehr, was genau die Regierung eigentlich vorhat. Weil sich die beiden Regierungsparteien grundsätzlich uneins sind, wie die Sache anzugehen wäre. Das war schon im Vorjahr so, neu aber ist, dass sich die Strategien komplett geändert haben. War Bundeskanzler Kurz im Herbst noch Verfechter einer harten Gangart, um der steigenden Infektionszahlen Herr zu werden, plädiert er nun für möglichst langes Offenhalten. Damit läge er genau auf der Linie des Gesundheitsministers, hätte der nicht seinerseits die Strategie um 180 Grad gedreht. War er im vergangenen Herbst kein Freund von raschen und harten Beschränkungen, ist er jetzt im Lager der Hardliner zu finden. Rhetorisch jedenfalls.

Fünftens war es ein Fehler, die EU-Kommission mit der Beschaffung der Impfstoffe zu betrauen. Sie hat zu spät bestellt und zu billig gekauft, um einen Verteilungskampf innerhalb der EU zu vermeiden. Das Ergebnis ist eine Mangelwirtschaft wie im früheren Osteuropa, was den innereuropäischen Verteilungskampf erst recht anheizte. Allerdings möchte man sich auch nicht vorstellen, was passiert wäre, hätte die Bundesregierung im Sommer 2020 gemeinsam mit Israel bestellt. Insbesondere jene hätten besonders laut „abscheulicher Impfnationalismus!“ geschrien, die heute die grassierende Mangelwirtschaft kritisieren.

Aber wie gesagt: Das Leben ist nicht immer fair.

Kolumne von Franz Schellhorn im „Profil“ (27.03.2021)

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