In den Augen vieler Bürger gehört es zu den zentralen Aufgaben des Staates, sie für jeden Einkommensverlust zu entschädigen. Das ist ein grobes Missverständnis.
Die Inflation spült Unsummen in die Staatskassen. Allein in den kommenden zwei Jahren werden es über drei Milliarden Euro sein. Mit den Preisen steigen die Löhne und damit die Steuereinnahmen. Dieses Geld hätte die Regierung nutzen können, um die absurd hohe Besteuerung des Faktors Arbeit zu senken und so die Kaufkraft der Bevölkerung nachhaltig zu stärken. Gleichzeitig hätten besonders einkommensschwache Haushalte mit Zuschüssen gezielt unterstützt werden können, damit sie sich das Heizen ihrer Wohnungen leisten können.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Hohe Treibstoffkosten sind für nicht wenige Haushalte eine Belastung, die sie nicht verkraften können. Das Land besteht aber nicht nur aus Bedürftigen, die für jede Unbill vom Staat zu entschädigen sind. Genau das scheint der Großteil der Bevölkerung jedoch zu erwarten. Nicht nur die Autofahrer sehen den Staat in der Pflicht, auch viele Unternehmen rufen ihn zu Hilfe. Die Wirtschaft pocht auf staatliche Unterstützung, sie will für die unerfreulichen wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine entschädigt werden.
Diese „Hol-Dir-was-Dir-zusteht“-Mentalität hat sehr viel mit der Pandemie zu tun, in der die Politik Maß und Ziel verloren hat. Wurde vor wenigen Jahren noch um Millionen gestritten, sind heute Milliarden kaum der Rede wert. Corona hat Schäden in astronomischer Höhe verursacht, aber der mit Abstand größte Schaden lässt sich nicht beziffern. Es ist der mentale Knacks, den diese Krise in unseren Köpfen angerichtet hat. Der Glaube, es gehöre zu den zentralen Aufgaben des Staates, jeden erlittenen Einkommensverlust zu kompensieren und jeden drohenden zu verhindern. Das kann der Staat aber nicht. Und das soll er auch nicht. Weil die Krise, die niemand spürt, noch nicht erfunden ist. Entweder zahlen wir selbst, oder wir lassen uns vom Staat alimentieren und stellen die Rechnung nachkommenden Generationen zu. Aber wie sollen die Jüngeren das alles schultern? Auf sie wartet ein bis zum Anschlag verschuldeter Staat, der künftigen Steuerzahlern enorme Beiträge abverlangen wird. Weil die Politik keinerlei Vorkehrungen getroffen hat, um die Finanzierung des staatlichen Solidarsystems in Zeiten einer alternden Bevölkerung sicherzustellen.
Jahrelang wurden alle Reformvorschläge als Panikmache denunziert, die vielen Baustellen im Staatshaushalt nicht saniert, sondern mit billigem EZB-Geld zugeschüttet. Das muss ein Ende haben. Denn wenn schon Treibstoffpreise von zwei Euro je Liter die Bevölkerung eines der reichsten Länder der Welt aus der Bahn zu werfen drohen, wie soll es dann in den kommenden Jahren weitergehen? Eine Pensionsreform wird irgendwann unvermeidlich sein, und die Bürger werden auch die Kosten für den steigenden Pflegebedarf zu spüren bekommen. Zahlt das dann auch der Staat mit frisch gedrucktem Geld?
Und wie wird der Staat in den kommenden Wochen und Monaten vorgehen, wenn die aktuelle Teuerungswelle weiter an Kraft gewinnt? Und das wird sie, weil viele Preise an die Inflation gekoppelt sind. So werden die explodierenden Teuerungsraten zu enorm hohen Lohnabschlüssen führen; die Elektroindustrie fordert bereits sechs Prozent mehr Geld. Hohe Lohnabschlüsse treiben ihrerseits die Inflationsrate an, was weitere kräftige Lohnerhöhungen auslöst. Es wird also recht ungemütlich werden, denn alles ist für die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale angerichtet. Wird die Regierung dann Lebensmittelgutscheine unters Volk werfen? Unternehmen Lohnzuschüsse überweisen? Alle Betriebe verstaatlichen, die höhere Löhne nicht auf die Kunden überwälzen können, weil diese dann zur günstigeren Konkurrenz abwandern? Die Preise amtlich regeln und Ein- und Ausfuhren staatlich beschränken?
Die bittere Wahrheit ist: Wir werden im Zuge schwerer Krisen wie der aktuellen mit Wohlstandsverlusten zu leben haben. Das ist der breiten Mehrheit der heimischen Bevölkerung und der Unternehmen auch zumutbar. Die einzige Aufgabe eines Sozialstaates ist es, den ärmsten Menschen in diesem Land zu helfen. Dafür sind die hohen Steuern und Sozialabgaben da. Das funktioniert nicht über halbierte Mehrwertsteuersätze oder Preisobergrenzen. Sondern über gezielte Zuschüsse an Bedürftige. Am Geld sollte es nicht fehlen. Denn wie erwähnt: Die hohe Inflation spült Unsummen in die Staatskassen.
Kolumne von Franz Schellhorn für “profil” (26.03.2022).
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