Mit dem Wirtschaftswissen ist es in Österreich nicht weit her, dafür boomt die Wirtschaftsesoterik. Das zeigt die Kandidatenliste für das Wort des Jahres.
In Österreich geht dieser Tage eine Wahl über die Bühne, die die Verfasstheit des Landes vermutlich besser beschreibt als die nächste Konjunkturprognose. Bis zum 4. Dezember wird über das Wort und das Unwort des Jahres abgestimmt. An aussichtsreichen Kandidaten herrscht kein Mangel, gemeinsam mit der Austria Presse Agentur hat die Gesellschaft für Österreichisches Deutsch eine vielsagende Liste zusammengestellt. Bitte anschnallen: In der Kategorie Wort des Jahres zählen die „32-Stunden-Woche“, die „Gierflation“ und die „Klimakleber“ zu den großen Favoriten, die „Mietpreisbremse“, die „Übergewinnsteuer“ und der „Bodenfraß“ zu den aussichtsreichen Außenseitern.
In der Kategorie Unwort des Jahres ist mit „Hausverstand“, „Normaldenkende“, „Lohn-Preis-Spirale“, „Umwidmungsgewinn“, „Klimaterroristen“ und „technologieoffen“ ein noch engeres Rennen garantiert.
Wer sich jetzt wundern sollte, dass Technologieoffenheit in Österreich als Schimpfwort gilt, während der Begriff „Klimakleber“ positiv besetzt ist, dürfte ein wenig aus der Zeit gefallen sein. Regelmäßige Hörer der Ö1-Sendung „Morgenjournal“ wissen, dass uns nur noch ein radikaler Systemwechsel und knallharte Askese vor der Apokalypse retten können. Dabei ist es gar nicht so lang her, dass die Politik noch die Emissionsziele festgesetzt hat, während Ingenieure überlegt haben, wie diese am besten zu erreichen wären. Heute übernehmen diese Aufgabe Ärztinnen, Kinderbuchautoren und Soziologen, die es in die Politik verschlagen hat. Und die ganz genau wissen, welcher Antrieb der richtige ist und wie wir in Zukunft am besten heizen. Wer braucht da noch Technologieoffenheit?
An all das wird man sich gewöhnen müssen. Wir leben in einem Land, dem in Sachen Wirtschaftsesoterik nicht viel vorzumachen ist. Hierzulande glauben die Menschen nicht an sich, sondern an den Staat. Und daran, dass es für die hohe Teuerung, den Arbeitskräftemangel und die explodierenden Lohnstückkosten eine einfache Lösung gibt: die Verkürzung der Arbeitszeit auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Das erhöhe nicht nur die Zufriedenheit der Beschäftigten, sondern auch den Wohlstand der gesamten Bevölkerung.
Völlig klar ist offensichtlich auch, dass die Gewinne die Preise treiben und nicht umgekehrt, weshalb die „Gierflation“ als erfreulich kreative Wortschöpfung klassifiziert wird.
Selbst in bürgerlichen Zirkeln gehört es mittlerweile zu den wissenschaftlich gesicherten Befunden, dass die Armen immer ärmer werden, während die Reichen die Türen ihrer prall gefüllten Geldspeicher nicht mehr zukriegen. Keine Statistik der Welt vermag diesen erschütternden Befund zu entkräften. Die fortschreitende Verarmung der Bevölkerung ist kein Zufall, sie wird gesteuert. Nach den Drahtziehern muss man nicht lang suchen, es gibt nur einen: den Kapitalismus, der unter dem Decknamen „soziale Marktwirtschaft“ sein Unwesen treibt. Wer den Applaus sucht, muss nur das Versagen „der Märkte“ beklagen und an den Staat appellieren, diese wild gewordenen Ungetüme endlich zu zähmen. Die Märkte sorgten schließlich dafür, dass von unten nach oben umverteilt werde. Deshalb sind „Übergewinnsteuern“ auch so populär. Am besten wäre wohl gleich die Errichtung einer politischen Kommission, die festlegen würde, ab welcher Höhe Gewinne als „unverschämt“ einzustufen und dementsprechend zu „vergemeinschaften“ wären.
Die „Steuersenkung“ wird es in Österreich leider nie auf die Liste der Wörter des Jahres schaffen. Weil jedes Kind weiß, dass niedrige Steuern den Sozialstaat in den Ruin treiben. Die täglichen Bilder von Straßenschlachten aus Ländern wie der Schweiz sind eindrucksvolle Beweise dieser These. Der „Freihandel“ teilt das Schicksal der „Steuersenkung“: Er ist zwar ein unermüdlicher Wohlstandsgenerator für das kleine Österreich, aber wie jeder Schüler weiß, nützt das nur ein paar wenigen Großkonzernen. Sie sind es auch, die dafür sorgen, dass Bildung in einem Land mit freiem Hochschulzugang noch immer vererbt wird. An den Fließbändern der großen Fabriken werden schließlich jede Menge ungebildete Arbeitskräfte gebraucht, um die hohen Profite weiter zu erhöhen. Aber schon Albert Einstein wusste, dass es schwieriger ist, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.
Kolumne von Franz Schellhorn in der „Presse“ (11.11.2023).
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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