Innenpolitik

Hätte Diplomatie den russischen Angriff auf die Ukraine verhindern können?

Leigh Turner war britischer Botschafter in der Ukraine und in Österreich und lebte auch lange in Russland. Seine Erfahrungen als Diplomat verarbeitete er nun in einem unterhaltsamen und lehrreichen Buch. „The Hitchhiker´s Guide to Diplomacy“ verknüpft Einblicke in die Welt der Diplomatie mit persönlichen Erlebnissen des Autors.

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Turners erste Dienststelle im Ausland war Wien, wo er Mitte der 1980er-Jahre als Botschaftsrat arbeitete. Sein letzter Posten als Botschafter war ebenfalls Wien, von 2016 bis 2021. Im aktuellen Podcast der Agenda Austria erzählt Turner, wie sich Österreich in den 30 Jahren zwischen seinen zwei Aufenthalten verändert hat. Und er erklärt, warum die europäische Politik gegenüber Wladimir Putin in seinen Augen völlig falsch war.

Der beste Weg, um zu verhindern, dass Russland die Ukraine noch einmal angreift, wäre die Bewaffnung der Ukraine. Leider ist das bis 2022 nicht geschehen.

„Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Boris Johnson 2016 in Wien“, berichtet Turner. „Wir haben über die Ukraine und die Krim diskutiert. Ich habe gesagt: Der beste Weg, um zu verhindern, dass Russland die Ukraine noch einmal angreift, wäre die Bewaffnung der Ukraine. Das ist die einzige Sprache, die Russland versteht. Leider ist das bis 2022 nicht geschehen. Der beste Weg, um diesen Krieg zu verhindern, wäre eine Aufnahme der Ukraine in die NATO gewesen, schon 2008.“

Solange Putin an der Macht sei, werde es auch nach dem Krieg sehr schwierig, mit Russland einen Modus der Zusammenarbeit zu finden, meint der Diplomat. „Wir versuchen das seit Jahrzehnten. Boris Johnson ist 2017 als Außenminister nach Moskau gefahren, um einen Reset der Beziehungen zu versuchen. Die Antwort darauf war die Vergiftung von Sergei Skripal in Großbritannien.“

Persönlich erlebt hat Turner eines der größten Probleme sowohl in Russland, als auch in der Ukraine – die Korruption. Das sei ein Relikt aus sowjetischen Zeiten, sagt der Diplomat. „Damals war es vielleicht mehr eine Freunderlwirtschaft als klassische Korruption. Das abzubauen ist extrem schwierig. Es hat auch damit zu tun, dass die Privatisierungen in beiden Ländern sehr schlecht gelaufen sind. Das Vermögen ist in den Händen weniger Menschen konzentriert.“

Ganz grundsätzlich habe er versucht, Lektionen aus der Diplomatie zu ziehen,

sagt Turner über sein Buch.  Er sei immer der Meinung gewesen, dass man nicht alles in seinem Metier tierisch ernst nehmen müsse. „Auf der einen Seite hat man natürlich viel Verantwortung, vor allem als Botschafter. Auf der anderen Seite muss man immer wieder einen Schritt zurück machen und sich denken, ‚Mann, ist es nicht erstaunlich, dass ich hier bin? Ich sollte es genießen.’“

In Wien war Leigh Turner zweimal stationiert, einmal in den 1980er-Jahren und zuletzt von 2016 bis 2021. „Bei meinem ersten Aufenthalt gab es fast nur Skandale in Österreich: Waldheim, Lucona, Wein. Es waren interessante Zeiten.“  Er habe Wien schon damals als Partystadt erlebt, erzählt er. Viele Anekdoten aus dieser Zeit flossen in das Buch ein. „Als ich 2016 zurückgekommen bin, war Wien ganz anders, weil es nicht mehr an der Grenze des Eisernen Vorhangs lag, sondern in der Mitte des Vereinten Europa. Ich hatte das Glück, britischer Botschafter zu sein in einer Zeit, in der wegen des Brexit-Entscheids wirklich jeder Kontakt zum britischen Botschafter gesucht hat.“

Turner selbst stimmte gegen den Brexit und hält den EU-Austritt nach wie vor für einen schweren Fehler.

Turner selbst stimmte gegen den Brexit und hält den EU-Austritt nach wie vor für einen schweren Fehler, „der Großbritannien schwächt und die EU schwächt.“ Letztlich sei das Referendum das Ergebnis einer britischen Politik gewesen, die den Grund aller Übel stets in Brüssel suchte. Kein Politiker sei aufgetreten und habe klar gemacht, wie wichtig die EU für Großbritannien war. Dem Land gehe es trotzdem besser, als viele denken, sagt Turner. „Es ist nicht so, dass alles in Schutt und Asche liegt. Das Leben geht weiter. London ist noch immer eine pulsierende, schnell wachsende Stadt. Aber natürlich werden durch den Brexit viele Dinge schwieriger.“

Leigh Turner betätigt sich schon seit Jahren auch als Krimi-Autor. Unter dem Pseudonym Robert Pimm veröffentlichte er drei Thriller. Aktuell ist ein viertes Buch in Arbeit: „Da wird es hart zur Sache gehen. Wenn Sie Angst vor der Zukunft der Welt haben, wird Ihnen mein neuer Thriller sehr gefallen“, verspricht der Autor.

Zur Person:

Leigh Turner, 65: Der Sohn eines Universitätsprofessors und einer Lehrerin wuchs in Nigeria, Großbritannien und Lesotho auf. Nach dem Studium begann er Anfang der 1980er-Jahre eine Karriere im diplomatischen Dienst, die ihn quer durch Europa führen sollte. Unter anderem war er britischer Botschafter in der Ukraine, Generalkonsul in der Türkei und Botschafter in Wien. Turner ist auch als Schriftsteller tätig und verfasste unter dem Pseudonym Robert Pimm mehrere Krimis. Im Czernin Verlag erschien vor kurzem „The Hitchhiker´s Guide to Diplomacy“.


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