Staatshaushalt

Harte Zeiten für Sparer: Die Billionen sind wieder da

Der technische Fortschritt macht das Leben billiger, die Notenbanken versuchen, es zu verteuern. Anleger profitieren, Sparbuchsparer nicht.

Etwa 70 Autominuten südöstlich von Stuttgart liegt die Kleinstadt Schramberg. Sehenswürdigkeiten gibt es dort kaum, aber eine kleine Straße mit 22 Häusern hat es in die Geschichtsbücher geschafft. Der sogenannte Billionenweg wurde nämlich nach den Baukosten während der verheerenden Hyperinflation der 1920er benannt. Ein einzigartiges, zerstörerisches Event, das Deutschen und Österreichern bis heute in den Knochen steckt.

Seit der Coronakrise pumpen die Notenbanken Billionen in die Märkte, um die vor dem Kollaps zu bewahren.

Hundert Jahre später sind die Billionen wieder da. Denn seit der Coronakrise rechnen die Notenbanken und Staaten nicht mehr in Milliarden, wenn es um Geldspritzen geht. Was wir seit März 2020 gesehen haben, stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Die Zinsen sind bei null festgenagelt. Die Notenbanken pumpen Billionen in die Märkte, um die vor dem Kollaps zu bewahren. Dazu kommen die Konjunkturpakete der Staaten. Noch mehr Billionen.

Aber dies ist keine Warnung vor Hyperinflation. Die ist aktuell keine Gefahr. Die Lage ist komplizierter. Das viele Geld hat tatsächlich einen noch schlimmeren Kollaps verhindert. Aber es hat auch einen Trend befeuert, der schon vor Corona da war: Wer investiert, gewinnt. Aber wer spart, verliert.

Wir Sparbuchfans

Noch immer liegen rund 300 Milliarden Euro in Österreich auf Sparbüchern, die keine Zinsen abwerfen.

Die Deutschen und Österreicher sind Sparbuchfans. Das hat sich in den vergangenen Jahren zwar schon leicht geändert, seit die Notenbanken in der Finanzkrise mit ihrer extrem lockeren Geldpolitik begonnen haben. Aber eben nur leicht. Noch immer liegen 2,7 Billionen Euro in Deutschland und rund 300 Milliarden Euro in Österreich auf Sparbüchern und Konten, die keine Zinsen abwerfen. Gleichzeitig steht die Inflationsrate zwar niedrig, aber eben nicht bei null. Diese Differenz sorgt für einen Kaufkraftverlust der Sparer. Das ist beabsichtigt. Wir sollen froh sein, einen Job zu haben, und nicht darüber nachdenken, ob unsere Sparbücher sicher sind, hat EZB-Chefin Christine Lagarde kürzlich gesagt.

System, das Inflation braucht

Klarer könnte die Botschaft nicht sein. Wir leben in einem Geldsystem, das permanente Inflation braucht. Unter dem Strich müssen die Preise steigen. Die Europäische Zentralbank selbst definiert „Preisstabilität“ mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um knapp zwei Prozent pro Jahr. Früher war das eine Obergrenze, heute ist es ein Ziel. Denn seit vielen Jahren kämpfen die „Währungshüter“ mit eher niedriger Inflation.

Wir leben in einem Geldsystem, das permanente Inflation braucht.

Und jetzt, da die Coronakrise die Notenbanker zum Handeln gezwungen hat, sehen sie ihre Chance. Der Plan: Die Inflation soll überschießen, auf drei oder vier Prozent – um im langfristigen Schnitt wieder „Preisstabilität“ zu erreichen. Die Investoren haben die Botschaft sofort verstanden: Binnen weniger Monate war der Crash vergessen. Heute stehen die Aktienmärkte auf neuen Höchstständen. Gold und sogar die extrem volatile Kryptowährung Bitcoin konnten ebenfalls neue Allzeithochs markieren.

Die Sparquote ist in die Höhe geschnellt. Mit der Impfung könnte dieses Geld sehr schnell freigeschaltet werden.

Auch die Immobilienmärkte haben sich keinesfalls abgekühlt, wie einige das erhofft oder erwartet haben. Aktuell springen sogar erstmals seit Langem die kurzfristigen Inflationserwartungen in die Höhe. Denn viel Geld wartet darauf, ausgegeben zu werden. Die Sparquote ist in die Höhe geschnellt, weil das gesellschaftliche Leben stillgelegt wurde. Mit der Impfung könnte dieses Geld sehr schnell freigeschaltet werden. Dazu kommt, dass die Staaten großzügig Geld verteilen. Bei uns vor allem in Form von Wirtschaftshilfen und via Sozialstaat – in den USA sogar per Scheck an jeden Haushalt. Auch dieses Geld wird irgendwo hinfließen. Das wird den Notenbanken vielleicht dabei helfen, ihr Inflationsziel zu erreichen oder sogar zu übertreffen. Auch keine guten Nachrichten für die Sparer.

Corona nicht größter Gegner

Aber Corona ist gar nicht der größte Gegner der Notenbanken – sondern die langfristigen Trends zur Deflation. Also Demografie und Technologie. Nichts fürchten Lagarde und ihre Kollegen mehr als eine Situation, in der die Preise anfangen zu sinken. Denn in der Theorie der Ökonomen hören wir alle sofort auf, Geld auszugeben – und warten auf noch niedrigere Preise. Es käme zu einer Negativspirale, einem wahrhaftigen Stillstand der Wirtschaft.

In der Welt der Zentralbanken soll alles langsam teurer werden – als Ansporn für die Massen. Es ist auch der Grund, warum die Ungleichheit gerade im Westen so eklatant ist.

Aber stimmt das? Haben Sie aufgehört, Computer zu kaufen, nur weil die billiger wurden? Oder Handys? Natürlich nicht. Der Fortschritt der Technologie macht unser Leben einfacher und billiger. Das ist, was wir uns erhoffen und erwarten. Aber es passt nicht in das Modell der Zentralbanken. Deshalb arbeiten sie aktiv dagegen. In ihrer Welt soll alles langsam teurer werden – als Ansporn für die Massen. Das ist der Grund, warum wir uns manchmal vorkommen wie im Hamsterrad.

Aber es ist auch der Grund, warum die Ungleichheit gerade im Westen so eklatant ist. Wer genug zum Leben hat und weiß, dass das Sparbuch kein sicherer Ort ist, investiert in Wertanlagen. In Aktien, Immobilien oder Gold. Und ganz besonders dort, wo die technische Deflation auf die monetäre Inflation trifft. Das erklärt den unheimlichen Anstieg der Technologieaktien. Wer sein Geld in Apple, Amazon, Tesla, Google, Facebook oder Microsoft steckt, will vor der Entwertung der Währungen durch die Notenbanken flüchten – und gleichzeitig davon profitieren, dass Technologie unser Leben besser und billiger macht.

Mickrige Rendite

Der Kleinanleger kann es wie die Großen machen. Er wächst mit der globalen Wirtschaft und muss eben verkraften, wenn es mal hinuntergeht.

Und was ist mit den Sparbuchsparern? Dank iPhone brauchen sie zumindest keinen Taschenrechner mehr, um sich ihre mickrige Rendite auszurechnen. Und mit demselben Smartphone haben sie Zugriff auf die Weltmärkte. Nie war es so einfach und so günstig, global gestreut zu investieren. Das verringert auch das Risiko. So kann der Kleinanleger es wie die Großen machen. Er wächst mit der globalen Wirtschaft und muss eben verkraften, wenn es mal hinuntergeht. Wer aber unter den gegebenen Umständen mehr als den Notgroschen (sechs Monatsgehälter?) auf Konto oder Sparbuch bunkert, verliert garantiert.

Dass dieser Prozess von technischer Deflation und monetärer Inflation bald endet, ist nicht zu erwarten. Eher dringt die rasante technische Entwicklung in mehr und mehr Sparten vor. Dem gegenüber stehen immer extremere Ideen, die Inflation anzukurbeln. Längst ist manch Ökonom davon überzeugt, dass der Staat so viel Geld drucken und so viele Schulden aufnehmen soll und kann, wie ihm lieb ist. Und dass man dieses Geld gleich an alle Haushalte überweisen sollte.

Wir brauchen keine Angst davor zu haben, dass übermorgen die Hyperinflation ausbricht.

Das wird neue Warnungen bringen. Aber wir brauchen keine Angst davor zu haben, dass übermorgen die Hyperinflation ausbricht und wir mit Scheibtruhen voller Geld zum Bäcker rennen. Billionenwege werden so schnell auch keine gebaut werden. Es reicht völlig, wenn wir Respekt davor haben, dass alles so weitergeht wie in den vergangenen zehn Jahren – nur eben etwas schneller. Das ist schlimm genug für jene, die nicht vorbereitet sind.

Gastkommentar von Nikolaus Jilch in der „Presse“ (15.01.2021)

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