Statt rechtzeitig das "virtuelle Klassenzimmer" einzurichten, regiert im Bildungsministerium das Prinzip Hoffnung: Irgendwie werden die Eltern das schon schaffen.
Das Frühjahr 2020 wird allen Eltern von Schulkindern noch in lebhafter Erinnerung sein. Sie mussten nicht nur um ihre wirtschaftliche Existenz bangen, sondern auch völlig unvorbereitet als Hilfslehrer für ihre Kinder einspringen. Österreichs Schulen wurden von der Pandemie “kalt” erwischt, weil die seit vielen Jahren versprochene Digitalisierung der Schulen eben nicht mehr war als ein Versprechen. Während E-Learning in anderen Ländern längst zum Schulalltag gehört, gibt es in Österreich noch immer unzählige Lehrkräfte, die angeblich über keinen Computer verfügen und sich auch nie mit digitaler Kommunikation zu beschäftigen hatten, von digitalisierten Lehrbüchern nicht zu reden.
Deshalb mussten heuer rund 600.000 Erwerbstätige die Betreuung von 1,3 Millionen Kindern übernehmen oder selbige organisieren, wodurch laut Berechnungen meiner Kollegen von der Agenda Austria bis zu 121 Millionen Arbeitsstunden im Wert von 7,2 Milliarden Euro verloren gingen. Besonders betroffen waren Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten, die im Lockdown niemanden hatten, der sie schulisch unterstützen konnte. Wie sie das Versäumte jemals aufholen können, spielt in der Bildungsdebatte bestenfalls eine Nebenrolle.
Schwamm drüber, möchte man meinen, schließlich wurde ja nicht nur Österreich von der hereinbrechenden Pandemie überrascht, sondern die ganze Welt. Zudem hat Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) vergangenen Montag seine Pläne präsentiert, wie die Regierung die Wiederholung des Schulchaos vom Frühjahr zu verhindern gedenkt. “Testen, lüften, Maske tragen und Abstand halten”,so lautet die neue Anleitung. Alle drei Wochen sollen Tausende Schüler mit einer Kochsalzlösung gurgeln-zeigen sich in den Gemeinschaftsproben Spuren von Covid-19, werden Abstriche von jedem Schüler der betroffenen Klasse genommen.
“An oberster Stelle stehen weiterhin Hygiene und Distanzhalten. Ein neues Ampelsystem zeigt, was zu tun ist. Bei Grün läuft der Schulbetrieb so normal, wie das in Zeiten einer Pandemie eben möglich ist, ab Stufe Gelb werden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft: Kinder haben außerhalb des Klassenzimmers Maske zu tragen, Sport und Singen gibt es nur noch im Freien, Lehrerkonferenzen finden online statt, ab Orange kann auch wieder ein Schichtbetrieb eingeführt werden. Bei Rot kommt es zu einem flächendeckenden Comeback des sogenannten “Distance Learning”.
Nun dürfte vielen Eltern noch nicht ganz klar sein, was Bildungsminister Faßmann unter “Distance Learning” versteht. Es heißt nämlich nicht, dass die Schüler im Fall des Falles aus der Distanz unterrichtet werden. Also über ein virtuelles Klassenzimmer, in dem die Lehrer jeden Tag wie gewöhnlich unterrichten und die zu Hause Gebliebenen über ihre Endgeräte dem Unterricht via Bildschirm folgen können. Müssen einzelne Schüler oder ganze Klassen zu Hause bleiben, haben vielmehr erneut die Eltern als Hilfslehrer einzuspringen. Ohne jemals gefragt worden zu sein, ohne die dafür nötige Ausbildung mitzubringen. Die Eltern werden einmal mehr auf das Entgegenkommen ihrer Arbeitgeber angewiesen sein, um im Homeoffice arbeiten und während dieser bezahlten Arbeitszeit ihre Kinder unterrichten zu dürfen.
Warum das so ist, ist schnell erklärt. Bildungsminister Faßmann hat es verabsäumt, rechtzeitig ein paar Entscheidungen zu treffen, die in seiner Verantwortung als oberster Arbeitgeber liegen. Allen voran einmal jene, noch rechtzeitig vor den Ferien festzulegen, welche Software im Herbst in allen Bundesschulen einzusetzen ist, falls Schüler zu Hause zu bleiben haben. Entweder weil sie im Verdacht stehen, erkrankt zu sein, oder es bereits sind. In weiterer Folge wäre die nicht abgerufene Dienstzeit (auch Sommerferien genannt) um ein bis zwei Wochen zu verkürzen gewesen, um alle Lehrkräfte verpflichtend mit der kinderleicht zu bedienenden Software vertraut zu machen. Etwa mit einem der vielen Programme, die in anderen Ländern längst problemlos eingesetzt werden.
Aber in Österreich geht das alles nicht. Weil der Dienstgeber Staat jedem möglichen “Wickel” mit der Lehrergewerkschaft aus dem Weg geht. Zwar werden vom Ministerium Onlinekurse angeboten, aber diese sind nur freiwillig. Wer nicht will, muss nicht. Es wird also einmal mehr zum Glücksspiel, ob Kinder von engagierten Lehrern unterrichtet werden, die “Microsoft Teams” oder “Google Classroom” beherrschen und einsetzen. Also von jenen, die mehr tun als notwendig und das System tragen. Oder von Lehrern, die über Wochen nicht zu erreichen sind, weil sie “offline” sind.
Statt also Schuldirektoren und Lehrkräfte zu verpflichten, rechtzeitig ein “virtuelles Klassenzimmer” einzurichten, werden kurzerhand wieder Hunderttausende Eltern als Hilfslehrer eingespannt. Das ist auch einfacher, da wird nicht lange demonstriert, da wird erduldet. Zudem ist ihnen ja noch vom Frühjahr in lebhafter Erinnerung, was zu tun ist.
Kolumne von Franz Schellhorn im „Profil“ (22.08.2020)
Im Home-Office wurden Eltern zu Hilfspädagogen, mit erheblichen Folgen für die Wirtschaft. Der Sommer sollte genutzt werden, um zumindest einen Schul-Notbetrieb im Herbst zu ermöglichen.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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