Der Regierungswechsel in Portugal zeigt, dass die von EZB-Chef Mario Draghi ausgesendeten Signale endlich verstanden werden: „Reformen einstellen, Gratisgeld bei der EZB abholen – und gemma!“
Nachzugeben ist ein edler Zug, das lernen wir schon im frühesten Kindesalter. Ein Esel, wer auf seinem Standpunkt beharrt, ein kluger Kopf, wer sich flexibel zeigt. Dass es hin und wieder auch anders kommen kann, zeigt der vergangene Sommer. Wie glücklich waren wir doch alle, als Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble die Prinzipien endlich Prinzipien sein ließ und seine Blockadehaltung gegen ein neues griechisches Hilfspaket aufgegeben hatte. Das Geld durfte wieder in Strömen nach Griechenland fließen, und alle Menschen leben seither glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
Was für ein Pech aber auch, dass sich das echte Leben nicht ganz an diesen Plan hält. Heute ist nämlich klar, dass das Nachgeben gegenüber Griechenland das war, was man in der Sprache der Politik eine „Weichenstellung“ nennt. Oder einen „Paradigmenwechsel“. Man könnte auch „Game Changer“ oder „Dammbruch“ dazu sagen. Die verständnisvolle Haltung gegenüber einem Land, dessen Regierungschef das Volk mit Erfolg zur Ablehnung eines Sanierungsplans aufgerufen hat, den er selbst ausverhandelt hat, war ein unmissverständliches Signal an alle Regierungen in Europa: „Seid nicht kindisch, stellt die Reformbemühungen endlich ein und holt euch die unbeschränkt verfügbare ‚Marie‘ aus den Kellern der Europäischen Zentralbank, um die strukturellen Löcher in euren Haushalten zuzuschütten. Dazu ist das viele Gratisgeld ja schließlich da!“
Die wenig subtile Botschaft ist angekommen. In Portugal hat soeben eine von den Kommunisten gestützte Linksregierung den konservativen Regierungschef aus dem Amt gejagt. Und damit einen Mann, der sich als Reformer einen Namen gemacht hat. Das Haushaltsdefizit wurde von elf auf drei Prozent gedrückt, die Arbeitslosigkeit reduziert, eine effiziente Steuerbehörde auf die Beine gestellt, die Wirtschaft modernisiert, die Exportwirtschaft angekurbelt und das Land zurück an die Kapitalmärkte geführt. Die Wirtschaft wächst auf einer nachhaltigen Basis, die Armutsgefährdung ist noch immer hoch und der größtenteils in der sorglosen Vergangenheit angehäufte Schuldenberg erdrückend. Die neue linkspopulistische Regierung wird die Haushaltssanierung nun einstellen, Mindestlöhne und Pensionen kräftig erhöhen und alle Privatisierungen stoppen.
Nun muss man kein staatlich geprüfter Wahrsager sein, um zu sehen, dass sich neben Portugal weitere Länder auf den „griechischen Weg“ machen werden. Spanien wird die „Her mit dem Zaster!“-Fraktion vermutlich als nächstes verstärken, das durch die Arbeitsmarktreform aufblühende Italien ist ebenfalls ein heißer Kandidat. All diesen Ländern kann Europa auch nicht verwehren, was es Griechenland gewährt hat: Für das Verweigern von Reformen mit Finanzhilfen aus der Notenpresse entschädigt zu werden.
Nennenswerter Widerstand ist auch nicht zu erwarten, nicht einmal von Deutschland. Vielmehr wird Berlin das unschöne Treiben schweigend verfolgen, wenn die südlichen Krisenländer nur versprechen, weniger Flüchtlinge Richtung Norden durchziehen zu lassen. Das Versprechen allein wird reichen, Taten müssen nicht unbedingt folgen, auch das ist eine Lehre aus dem griechischen Schuldendesaster.
Zudem genehmigen sich auch die Budgetdisziplin heuchelnden Nord-Länder längst budgetäre Marscherleichterung: Ausgaben für die Aufnahme von Flüchtlingen und die innere Sicherheit werden von den ohnehin permanent verletzten Schuldengrenzen ausgenommen, weitere öffentliche Investitionen werden folgen, bis vom Stabilitätspakt nur noch der Name übrigbleibt.
Am Ende wird eine wachsende Zahl von Eurostaaten mit enormen Schuldenbergen dastehen. Vorerst ohne Folgen, die laufenden Belastungen aus den Zinszahlungen werden angesichts der Politik des billigen Geldes trotz anschwellender Verbindlichkeiten sogar sinken. Wenn das dicke Ende kommt, sind alle Finanzminister und Zentralbanker von heute längst im Ruhestand. Kaum noch jemand wird sich an sie oder den Sommer von 2015 erinnern.
Oder daran, dass Nachgeben hin und wieder umsonst, aber keineswegs gratis ist. Und der vermeintlich klügere Kopf des Öfteren auf den Schultern eines Esels sitzt, der erst recht im Bach landet.
Der Artikel erschien als Gastkommentar auf NZZ.at
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