Konjunktur & Wachstum

Nord Stream 1: Drei Szenarien für den Ernstfall

Durch die Pipeline Nord Stream 1 fließt wieder Gas, allerdings derzeit weiterhin viel weniger als bestellt. Nach wie vor besteht die Gefahr, dass Russland den Gashahn für Europa komplett zudreht. Die Agenda Austria hat drei Szenarien für den Ernstfall durchgerechnet: Was würde passieren, wenn kein Gas aus Russland mehr käme? Wie stark würde Österreich in Mitleidenschaft gezogen, wenn es auch in Deutschland kein russisches Gas mehr gäbe?

Optimistisches Szenario

Im besten Fall kann Österreich 80 Prozent des russischen Gases kompensieren. Außerdem wird in diesem Szenario angenommen, dass die privaten Haushalte etwa ein Zehntel ihres Gasverbrauchs einsparen, was Druck von der Industrie nimmt. Die reale Wirtschaftsleistung wird durch diese Bedingungen um 1,1 Prozentpunkte eingebremst. Auch wenn die jüngsten Wirtschaftsprognosen von WIFO und IHS für heuer noch ein Wachstum von fast fünf Prozent und für das kommende Jahr von rund zwei Prozent erwarten, würde uns der Gas-Stopp hart treffen. Zumindest eine Stagnation der Wirtschaftsleistung ab Ende 2022 bis ins Folgejahr bei gleichzeitig hoher Inflation (eine sogenannte Stagflation) wäre die Folge. Nur der gute Start ins laufende Jahr und die Aufholeffekte nach den Corona-Einschränkungen würden das Bruttoinlandsprodukt des vollen Jahres 2022 deutlich stützen. Allerdings ist eine Rezession ab Ende des Jahres nicht auszuschließen, wenn zusätzliche weltwirtschaftliche Schocks, wie eine Verschärfung der Lieferkettenproblematik, die österreichische Wirtschaft treffen.
 

Mittleres Szenario

In Anlehnung an Pläne der Europäischen Kommission können zwei Drittel des russischen Gases kompensiert werden. Angenommen wird in diesem Szenario auch, dass die privaten Haushalte ihren jährlichen Gasverbrauch um fast ein Fünftel reduzieren, was Druck von der Industrie nimmt. In Deutschland, das seine Gasabhängigkeit deutlicher als Österreich reduzieren konnte, können 90 Prozent des russischen Gases ersetzt werden. Der Schaden wird rund 2,6 Prozentpunkte des BIP betragen; nur 0,05 Prozentpunkte dieses Einbruchs werden von Deutschland beigesteuert. In diesem Szenario fallen 45.000 Arbeitsplätze weg. Ab Ende 2022 befindet sich Österreich in einer Rezession.

Pessimistisches Szenario

Die Annahme lautet hier, dass sich nur die Hälfte der russischen Gaslieferungen ersetzen lassen. Zudem können die privaten Haushalte ihren jährlichen Gasverbrauch nur um etwas mehr als zehn Prozent reduzieren. Die Industrie muss also größere Lasten tragen, was zu einem schwereren Wirtschaftseinbruch führt. Darüber hinaus können in Deutschland nur 70 Prozent des russischen Gases ersetzt werden. Österreich rutscht in eine Rezession. Das BIP wird um 4,2 Prozentpunkte (0,2 Prozentpunkte aufgrund des deutschen Einbruchs) kleiner als erwartet; 75.000 Arbeitsplätze sind bedroht. 
 
Welches der drei Szenarien am wahrscheinlichsten ist, lässt sich derzeit kaum sagen. Die Ränder scheinen aber am unwahrscheinlichsten. Bislang sieht es in Österreich nicht danach aus, als ließen sich 80 Prozent des russischen Gases kurzfristig ersetzen. Umgekehrt erscheint aber auch die Annahme, dass bis 2023 nur die Hälfte kompensiert werden kann, nicht plausibel. Insbesondere die jüngste Reservierung von Pipelinekapazitäten der OMV im Umfang von 40 TWh für Gas aus Norwegen und zusätzliches Flüssiggas hat die Lage etwas entspannt. Wie schlimm es am Ende kommt, hängt entscheidend davon ab, wie viel russisches Gas tatsächlich ersetzt oder idealerweise ganz eingespart werden kann.

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