Nicht nur die mangelhafte Kinderbetreuung ist für den Trend zur Teilzeit verantwortlich. Es fehlt insgesamt an Anreizen, Vollzeit arbeiten zu gehen. Auf Dauer lässt sich der Sozialstaat so nicht finanzieren.
Österreich ist ein Land, das seine Traditionen pflegt. Besonders gilt das bei der Gestaltung des Familienlebens: Jedes Jahr rund um den Weltfrauentag am 8. März wird aufs Neue darüber debattiert, warum es nach wie vor fast ausschließlich die Mütter sind, die für ihre Kinder beruflich zurückstecken und nur in Ausnahmefällen die Väter. Das Bild der braven Hausfrau, die daheim bleibt und sich um den Nachwuchs kümmert, scheint in den Köpfen vieler Österreicherinnen undÖsterreicher noch immer tief verankert zu sein.
Fakt ist: Während die meisten Männer Vollzeit arbeiten, hat mehr als die Hälfte der Frauen nur einen Teilzeitjob. Und natürlich sind es oft die Betreuungspflichten, die gar nichts anderes zulassen. In den meisten Bundesländern gibt es zu wenige öffentliche Kindergärten und Schulen, die einen Vollzeitjob überhaupt ermöglichen. Viele Einrichtungen schließen schon zu Mittag; die Betreuung und Bespaßung der Kleinen am Nachmittag muss privat organisiert werden.
Fakt ist aber ebenso, dass Teilzeit auch bei Menschen ohne familiäre Verpflichtungen boomt. Nur wenige Frauen kehren Vollzeit in den Arbeitsmarkt zurück, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Bei manchen ist es nicht möglich, andere wollen ganz offensichtlich nicht und sind freiwillig nicht Vollzeit erwerbstätig. Aber selbst 47 Prozent der 45- bis 54-jährigen Frauen ohne Kinder arbeiten nur Teilzeit. Auch bei Männern zeigt sich, unabhängig von der familiären Situation, ein klarer Trend zu weniger Wochenarbeitsstunden.
Es gibt kaum wissenschaftliche Untersuchungen über die Gründe für den immer stärkeren Sog in Richtung Teilzeit. In Umfragen geben die Menschen meistens an, dass ihnen eine gute Work-Life-Balance wichtig sei und sie das Leben genießen wollten. Doch vielleicht hat die Massenflucht aus der Vollzeit auch noch ein paar andere Gründe, über die wir zu selten reden: Das österreichische Steuersystem macht es Erwerbstätigen nicht gerade sehr schmackhaft, Vollzeit zu arbeiten.
Im OECD-Vergleich drückt die Steuer- und Abgabenlast nur in zwei Ländern noch schwerer als in Österreich, nämlich in Deutschland und Belgien. Schon Durchschnittsverdienende müssen bei uns fast die Hälfte des Einkommens an den Staat abliefern. Die progressive Gestaltung des Systems führt dazu, dass es sich oft kaum lohnt, mehr zu arbeiten. Verdoppelt man die Wochenarbeitszeit, steigt der Nettolohn nur um zwei Drittel an. Bedenkt man zudem, dass viele junge Mütter auch noch die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder bezahlen müssen, wenn sie selbst mehr arbeiten, bleibt tatsächlich nicht viel Anreiz übrig.
Es ist grundsätzlich nicht verwerflich, weniger arbeiten zu wollen. Für viele geht sich ein angenehmes Leben finanziell ja trotzdem aus. Leider bedenkt nicht jede und jeder, welche Folgen die Freizeit von heute in 20 oder 30 Jahren haben wird. Jede Stunde Arbeit weniger wirkt sich massiv auf die Höhe der Pension aus – und im Nachhinein lassen sich fehlende Einkünfte nicht mehr aufholen. Dass Frauen durchschnittlich weniger Pension bekommen und stärker von Altersarmut betroffen sind, liegt vor allem an ihrer hohen Teilzeitquote.
Auch für die Gesellschaft hat der Teilzeitboom gravierende Folgen. Ein Sozialstaat wie Österreich ist auf die Beiträge der erwerbstätigen Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Durch den demografischen Wandel gibt es ohnehin immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter. Wenn sich ein großer Teil dieser Menschen mit Teilzeit begnügt, wird sich das Sozialsystem auf Dauer nicht mehr finanzieren lassen. Außerdem wird der Mangel an Arbeitskräften dadurch intensiviert, was wiederum der Wirtschaft schadet.
Gegen einen gesellschaftlichen Trend kann die Politik wenig tun. Aber es wäre klug, die Menschen gelegentlich darauf hinzuweisen, welche finanziellen Konsequenzen ein Teilzeitjob haben wird. Endlich mehr und bessere Kinderbetreuung anzubieten, ist natürlich ein Gebot der Stunde. Das gilt auch für die Unternehmen: Wer junge, gut ausgebildete Frauen anwerben will, muss sich etwas einfallen lassen. Und nicht zuletzt sollte das Steuersystem so adaptiert werden, dass mehr Arbeit zu einem entsprechend höheren Nettoeinkommen führt. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise auch ein Steuerabsetzbetrag für Vollzeitbeschäftigte.
Gute Ideen sind gefragt. Sonst wird der Sozialstaat an seine Grenzen stoßen, bevor die Jüngsten überhaupt vor der Entscheidung stehen, wie viel sie arbeiten wollen.
Gastkommentar von Carmen Treml für den “Standard” (08.03.2023).
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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