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Der Öffentlichkeit – auch vielen Journalisten – fehlt schlichtweg das notwendige Wissen, um zwischen methodisch "guten" und "schlechten" wissenschaftlichen Studien und Zeitschriften unterscheiden zu können.
Das Phänomen ist zwar gar nicht so neu, aber es erhält dank einer Recherche von NDR, WDR und dem ORF zusammen mit weiteren nationalen und internationalen Medien jede Menge Aufmerksamkeit: Mehr als 400.000 Forscher weltweit haben Aufsätze und Studien in sogenannten Raubverlagen veröffentlich – also dafür bezahlt, dass sie veröffentlicht werden, und ohne dass ihre Veröffentlichung einer Qualitätskontrolle unterzogen wurde, wie es in der Wissenschaft üblich ist. Darunter waren auch etwa 5.000 Forscher aus Deutschland und 390 aus Österreich – also etwa 1,3 bis 1,5 Prozent des wissenschaftlichen Personals in diesen Ländern.
Wer tiefer in die Thematik einsteigt, wird schnell feststellen: Veröffentlichungen in unseriösen Raubjournals betreffen vor allem unerfahrene Wissenschaftler, insbesondere in weniger entwickelten Ländern. In Europa spielen Raubverlage eine viel geringere Rolle, als man angesichts der aktuellen Berichterstattung vielleicht vermuten mag. Das bedeutet aber keineswegs, dass darüber nicht berichtet werden sollte – auch 1,5 Prozent des wissenschaftlichen Personals in Ländern wie Österreich oder Deutschland sind noch zu viel. Aber es wäre falsch, sich bei der Suche nach Antworten auf das zunehmende Glaubwürdigkeitsproblem der Wissenschaft und Forschung mit einem Randproblem wie ungeprüften Veröffentlichungen in Raubverlagen zu begnügen.
Tatsächlich liegen die Ursachen für das mangelnde Vertrauen in die Wissenschaft und Forschung ganz woanders. Und die Art und Weise, wie in den Medien, in der Politik und im Alltag mit wissenschaftlichen Ergebnissen – auch Fakten genannt – umgegangen wird, trägt ganz erheblich zu dieser gefährlichen Entwicklung bei: Selbst wenn es sich bei einer wissenschaftlichen Arbeit um ein „echtes“ Journal handelt, das einen oder mehrere „Peer-reviews“ hinter sich hat – also von unabhängigen Gutachtern desselben Fachgebiets geprüft und beurteilt wurde – so ist die Qualität der dahinterstehenden Forschung doch unterschiedlich hoch. Der Öffentlichkeit – auch vielen Journalisten – fehlt aber das notwendige Wissen, um zwischen methodisch „guten“ und „schlechten“ wissenschaftlichen Studien und Zeitschriften zu unterscheiden.
Abhilfe könnte da ein Blick in die Datenbank „Scopus“ schaffen: Sie ist die größte Sammlung von geprüften wissenschaftlichen Abstracts und Zitaten weltweit. Nicht immer, aber doch mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, gibt das Scopus-Ranking einer Studie einen Hinweis darauf, wie hochwertig die dahinterliegende Forschungsarbeit ist. Das alles nützt aber nur wenig, wenn der potentiellen Aufmerksamkeit einer Studie mehr Raum gegeben wird als ihrer wissenschaftlichen Qualität.
Zudem leidet die Berichterstattung über wissenschaftliche Erkenntnisse oder das auszugsweise Zitieren einzelner Ergebnisse unter einem klaren „False Balance“-Problem: Viel zu oft werden seriöse Ergebnisse aus dem Kontext gerissen oder auf eine Stufe mit der eigenen Meinung gestellt. Die „Wahrheit“ soll abgebildet werden, indem man irgendjemanden zitiert, der „dagegen“ ist oder die eigene Position bestätigt. Beispielsweise zeigt eine überwiegende Mehrheit der ökonomischen Studien weltweit, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Möglichkeit zu freiem Handel und dem Wohlstand eines Landes gibt. Dieser klar überwiegenden Mehrheit, die nicht Ausdruck einer sinistren Verschwörung ist, sondern das Ergebnis unabhängiger und qualitätsgeprüfter wissenschaftlicher Forschungsarbeit, wird die Meinung eines Anti-Globalisierungsaktivisten gegenübergestellt. Beim durchschnittlichen Leser einer solchen Gegenüberstellung muss fast zwangsläufig der Eindruck entstehen, die ganze Angelegenheit sei höchst umstritten und die Frage „wahr oder falsch“ eine 50:50-Angelegenheit.
Und so braucht es schließlich in den Medien und in einer hoffentlich einigermaßen aufgeklärten bürgerlichen Öffentlichkeit wieder mehr echte Skepsis, Sorgfalt und Kontrolle, wenn vermeintliche „Fakten“ die Runde machen. Erst kürzlich erschien in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ eine Dankesrede des zweifelsohne prominenten Philosophen Jürgen Habermas, in dem er, gegen die faktische Lage, behauptete, dass die Ungleichheit innerhalb und zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union steige. Das ist zwar nicht wahr, korrigiert oder journalistisch eingeordnet wurde diese Behauptung des großen Denkers aber nicht.
Die Aufklärung, wir erinnern uns, begann mit der Einsicht des französischen Mathematikers und Philosophen René Descartes: „Der Zweifel ist der Weisheit Anfang.“ Das freilich sollten sich nicht nur Forscher und Wissenschaftler, sondern auch Journalisten, NGOs, Politiker und Bürger endlich einmal merken. Es ist allein der Zweifel, der weise macht – und nicht die zugegebenermaßen bequemere Selbstbestätigung.
Kommentar von Monika Köppl-Turyna im „Der Standard“, 24.07.2018
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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