„Es geht in Europa seit Jahrzehnten in die falsche Richtung“
- 17.03.2021
- Lesezeit ca. 3 min
Der Top-Ökonom Gabriel Felbermayr warnt: Europa ist überaltert, bürokratisch und zu wenig dynamisch. In der Welt nach Corona droht der Absturz, während Amerika und China durchstarten: „Wir schaffen es in Europa nicht einmal, Wachstum zuzulassen.“
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Joe Biden regiert mit dem Scheckbuch. Der neue US-Präsident hat gerade Schecks an alle Amerikaner verschicken lassen – als Teil eines fast 2000 Milliarden Dollar schweren Programms zur Stimulierung der Wirtschaft. „Dieses Geld ist nicht nur dazu da, um Coronaschäden zu reparieren. Es geht auch um Wiedergutmachung. Um einen ersten Schritt zur Bekämpfung der Ungleichheit in den USA“, sagt Gabriel Felbermayr, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel im Podcast-Gespräch mit Nikolaus Jilch.
Gepaart mit verschobenem Konsum und einer Wiedereröffnung der Wirtschaft sei heuer in den USA ein regelrechter Boom zu erwarten, so Felbermayr: „Man muss sich fast schon die Sorge machen, dass es zu einer Überhitzung kommen könnte. Dass die Preise steigen und es zu einer deutlich höheren Inflation kommt. Dann wird es Zinsschritte geben müssen, was viele Schellenländer in Schwierigkeiten bringen könnte, die sich in Dollar verschulden.“ Und nicht nur die.
Wie schon nach der Finanzkrise droht Europa wieder zurückzufallen. Die Impfkampagne kommt kaum voran, die Corona-Mutationen sind auf dem Vormarsch – und weder die Pakete der einzelnen Staaten noch jene der EU können es mit denen aus Washington aufnehmen. Dazu kommen tief liegende strukturelle Probleme. Die Gefahr: Europa könnte in den kommenden Monaten und Jahren viel langsamer wachsen als die USA – von dort aber über höhere Güterpreise die Inflation importieren. Denn auch die chinesische Konjunktur läuft längst wieder an, was die Rohstoffpreise treibt.
„Aber wir in Europa haben einen ganzen Strauß an Problemen. Etwa die Demografie“, so Felbermayr: „Das ist auch in Deutschland ein großes Thema. Die Erwerbsbevölkerung wird zurückgehen. Auch bei den Unternehmen haben wir eine geringe Dynamik. Neue Ideen kommen seltener auf den Markt. Es geht seit Jahrzehnten in die falsche Richtung. Es wird immer schwieriger, unternehmerisch tätig zu werden – nicht leichter. Die Verhinderungslogik hat in vielen Ländern Überhand gewonnen. Auch das liegt daran, dass wir älter werden. Weil Pensionisten und Bald-Pensionisten viel mehr Gewicht haben als Junge. Eine alternde Bevölkerung tätigt kaum Zukunftsinvestitionen. Die Dinge mal laufen zu lassen, Freiräume zu geben, das fällt uns schwer.“
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Zur Person: Gabriel Felbermayr ist seit März 2019 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft. Der gebürtige Oberösterreicher hat auch eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Gabriel Felbermayr wurde 1976 in Steyr geboren. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Linz ging er nach Florenz, um dort zu promovieren. Von 2010 bis 2019 leitete er das ifo Zentrum für internationale Wirtschaft an der Universität München, wo er auch als ordentlicher Professor für Internationale Wirtschaft tätig war.
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