Es braucht mehr, viel mehr für den Arbeitsmarkt
- 22.09.2021
- Lesezeit ca. 3 min
Die geplante Reform muss sich an jenen orientieren, die arbeiten wollen
Bis Februar will Minister Martin Kocher (ÖVP) eine Reform des Arbeitslosengeldes vorlegen. Dabei sollte groß gedacht werden. In der Vergangenheit wurde immer nur an kleinen Stellschrauben gedreht. Der viel zitierte große Wurf kam leider nie zustande. Dabei wissen wir seit Jahren, woran es am österreichischen Arbeitsmarkt krankt. Besonderer Fokus sollte auf die Langzeitarbeitslosigkeit gelegt werden. Diese ist bereits in den Jahren vor der Pandemie deutlich gestiegen. Corona hat hier noch einmal zu einem deutlichen Anstieg geführt. Langzeitarbeitslose sind schwieriger zu vermitteln. Hier braucht es individuelle und umfangreichere Hilfsmaßnahmen, um die Menschen in den Arbeitsprozess zurückzuholen.
Bereits knapp die Hälfte aller Arbeitslosen ist mehr als ein Jahr auf Jobsuche. Und damit langzeitarbeitslos. Auch wenn die Regierung und das Arbeitsmarktservice mit der Aktion Sprungbrett bis zu 50.000 Langzeitarbeitslose in Beschäftigung bringen wollen: Es braucht mehr. Viel mehr. Junge Menschen müssen anders adressiert werden als ältere. Die Reform muss sich an jenen orientieren, die arbeiten wollen, da wir die höchste Zahl an offenen Stellen seit 1948 haben.
Neue Anreize braucht es auch bei der Zuverdienstgrenze. Die liegt aktuell bei der Geringfügigkeitsgrenze von monatlich 475 Euro. Verdient man jedoch einen Euro mehr im Monat, sinkt das jährliche Nettoeinkommen bereits um fast 1.000 Euro. Die gesamten Arbeitskosten steigen für den Arbeitgeber jedoch um mehr als 1.300 Euro jährlich. Das ist absurd, hier werden die falschen Anreize gesetzt.
Der Wohlfahrtsstaat verstärkt das Problem, weil oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze zusätzliche Abgaben, wie die Sozialversicherung, fällig werden und den Nettolohn reduzieren. Besser wäre eine kontinuierliche Steigerung der Steuern und Abgaben, statt eines großen Sprungs. Generell sollte den Menschen im Job als Motivation mehr Netto vom Bruttolohn bleiben.
Nicht nur das Steuersystem sollte anders ausgestaltet werden. Auch das Arbeitslosengeld gehört so reformiert, dass es zu Beginn der Arbeitssuche eine gute Absicherung bietet, mit zunehmender Dauer aber finanziell unattraktiver wird. Die betroffenen Personen können so zu Beginn der Arbeitslosigkeit einen passenden Job zu ihrer Qualifikation finden, ohne zu große finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen. Mit der Zeit steigt aber der Anreiz, einen Job anzunehmen. Im Idealfall, bevor die Person länger als ein Jahr arbeitslos ist.
Das Arbeitslosengeld sinkt in fast allen europäischen Ländern mit der Dauer der Arbeitslosigkeit. Es erfolgt dabei meist auch ein Übergang von einem Versicherungssystem in ein Mindestsicherungssystem.
Anders ist das in Österreich: Die Notstandshilfe zusammen mit dem Arbeitslosengeld garantiert ein zeitlich unbegrenztes Arbeitslosengeld auf fast unverändertem Niveau. Anders ausgedrückt: Österreich zahlt weniger Arbeitslosengeld, das dafür de facto ewig.
Gastkommentar von Dénes Kucsera im „Kurier” am 22.09.2021
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