Erstmals regieren in der zweiten Republik Experten. Die Erwartungen an das Kabinett Bierlein sind wegen vermeintlicher internationaler Vorbilder hoch. Tatsächlich haben diese mit Österreich wenig zu tun: Abgesehen von der Parteienlandschaft ist der Staat hierzulande nämlich stabil.
In schweren Krisen ist der Ruf von und nach Experten in der Politik lauter und besser als sonst. Sie sollen in (wirtschafts-)politisch heiklen Situationen das Vertrauen von Bürgern oder Investoren wiederherstellen, für Stabilität sorgen und so manchen Scherbenhaufen aufräumen.
Es sind also traditionell dramatische Situationen, in denen Experten in Regierungsverantwortung kommen, ohne eine Wahl gewonnen zu haben. In Europa hat die schwere Schuldenkrise wiederholt dafür gesorgt, dass Experten und hohe Beamte als Katastrophenmanager gefragt waren. Der Ökonom Mario Monti wurde in den dramatischen Tagen der europäischen Schuldenkrise im November 2011 zum Regierungschef Italiens bestimmt, sein Kabinett bestand zu einem Drittel aus Professoren. Zu dieser Zeit war Italien an den Finanzmärkten mit Zinsen von bis zu 8 Prozent konfrontiert, eine Staatspleite Italiens und ein Zerfall der Eurozone waren ernstzunehmende Szenarien, die durchgespielt wurden.
Nur einen Monat später hat die Technokratenregierung um den Ökonomen Mario Monti ein Sparpaket „zur Rettung Italiens“ verabschiedet. Es wurde mit großer Mehrheit durch das Abgeordnetenhaus und den Senat verabschiedet. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch in Griechenland ein Technokrat übernommen, der Volkswirt Lucas Papademos. Sie sollten in der Schuldenkrise das Vertrauen zurückgewinnen.
Die Expertenregierungen der europäischen Schuldenkrise waren weit mehr als „Übergangsregierungen“ im eigentlichen Sinne. Sogenannte „caretaker governments“ sollen, wie der Name schon sagt, den Staat nur am Laufen halten – und im wörtlichen Sinne wie ein Hausmeister dafür sorgen, dass alles seine Ordnung hat. Es geht um Verwalten statt Gestalten, um Ordnung statt Neuordnung. In vielen Ländern sind ihre Gestaltungsmöglichkeiten auch explizit geregelt – oder zumindest durch allgemeine Konventionen eingeschränkt. Die Vorbereitung von Wahlen und die Überbrückung der Zeit bis zur nächsten Regierungsbildung stehen dabei im Fokus.
Damit unterscheidet sich eine Übergangsregierung klar von den Konstellationen, die es in der Eurozone ab 2010 gegeben hat. Auf die Technokratie wurde gesetzt, um Reformen anzustoßen, die vielleicht aus kurzfristigen, parteipolitischen Erwägungen scheitern könnten, oder ein Land in einer erheblichen Transformation zu unterstützen. So wurden die oftmals unpopulären Maßnahmen in Italien zwar im Parlament von den Parteien beschlossen, aber von einer Expertenregierung initiiert und umgesetzt. Die Regierung Monti hätte etwa als gescheitert gegolten, wenn sie keine kontroversiellen Gesetzesvorschläge wie das Sparpaket von 2011 oder die Arbeitsmarktreform nicht durch das Parlament gebracht hätte. Tatsächlich hat Italien seine Neuverschuldung, gerade auch über Steuererhöhungen, vor allem durch Montis Sparpolitik zwischen 2011 und 2013 gesenkt.
Reine Übergangsregierungen hingegen sollen sich zurückhalten und nur reagieren, wenn es erforderlich ist. Belgien etwa hatte wegen der langen Dauer der Regierungsbildung ab 2011 eine Übergangsregierung mitten in einer Zeit, die wirtschaftspolitisch herausfordernd war. Diese Übergangsregierung war vor allem damit beschäftigt, für einen strikten Budgetvollzug zu sorgen und das Einhalten von Fiskalregeln zu garantieren. Das starke institutionelle Gefüge sorgte für eine relativ ruhige Hand im Übergang und sogar für die Frage, ob es überhaupt eine Regierung brauche.
Das jetzige Regierungsteam von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein ist zwar weitgehend wohlwollend aufgenommen worden, hat aber vor allem die verwaltende Aufgabe einer „caretaker“-Regierung vor sich. Keine akute wirtschaftspolitische Krise muss gelöst werden. Kein Vertrauen von Investoren muss rasch wieder zurückgewonnen werden. Zu regeln sind „nur“ die starken Nachwehen einer parteipolitischen Auseinandersetzung nach dem Bekanntwerden des sogenannten Ibiza-Videos.
Das Schaffen und Wirken der Regierung Bierlein wird im Gegenteil von viel Rückenwind begleitet. Der Staat sollte auch 2019 einen kleinen Überschuss erzielen, die Steuereinnahmen sprudeln, und die Zinsen auf österreichische Staatsschulden sind extrem niedrig. Der jüngsten politischen Krise zum Trotz sind die Renditen auf Staatsschulden mit zehnjähriger Laufzeit in den vergangenen zwei Wochen deutlich gefallen.
Auch wenn das Ansehen der Übergangsregierung gut sein mag, ihre Amtszeit wird trotzdem eher kurz sein. Für den Steuerzahler wäre eine lange Zeit des Übergangs sowieso problematisch. Denn hierzulande sorgt etwa die kalte Progression dafür, dass die Steuereinnahmen zumeist sehr dynamisch wachsen. Eine Steuerreform alle vier, fünf Jahre ist daher nötig, um zumindest die Steuerbelastung stabil zu halten. Und eine ebensolche Entlastung war an sich für die Jahre 2020 bis 2022 gerade von der Regierung angekündigt worden. Dazu kommt, dass der Reformbedarf – von Bildung bis Pensionen – groß ist, und „das freie Spiel der Kräfte“ im Parlament in der Vergangenheit eher für kurzfristige Wahlzuckerl als langfristige Reformen genutzt wurde.
So schätzte die US-Ratingagentur Moody’s, dass es negativ für Österreichs Kreditqualität sei, wenn die Steuerreform und andere Maßnahmen abgesagt werden würden. Und bei der Ratingagentur Standard & Poor’s warnte man etwa vor den „potenziell teuren populistischen Maßnahmen“, für die es vor der nächsten Nationalratswahl im Parlament im „freien Spiel der Kräfte“ wechselnde Mehrheiten geben könnte.
Das würde zwar die Stabilität nicht unbedingt erhöhen. Aber von einer schweren Krise ist abseits der Parteipolitik auch in der dritten Woche nach Ibiza wenig zu sehen.
Kommentar von Lukas Sustala für “Addendum” (04.06.2019).
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