Warum die Maßnahmen für größere Schulautonomie nichts anderes als mehr Freiheit zu Mängelverwaltung und zur Selbstausbeutung der engagierten Lehrer bedeuten könnten.
Der Scheinriese – eine Märchenfigur von Michael Ende – ist ein Mensch, der von der Ferne wie ein Riese aussieht, aber immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Aus der Nähe hingegen ist er nicht größer als der Durchschnitt.
Auch die vor Kurzem vorgestellten Maßnahmen für größere Schulautonomie wurden – wieder einmal – als große Bildungsreform angekündigt: Nichts Geringeres als ein “grundlegender Umbau des Bildungssystems” werde eingeleitet, so Bildungsministerin Hammerschmid. Aber bei näherer Betrachtung ist die Reform ein Scheinriese und wenig mehr als eine Fortsetzung der Politik der kleinen Schritte im Schulbereich. Und wenn sich die Ministerin bei den nun anstehenden Verhandlungen nicht durchsetzt, droht das Projekt überhaupt zum Reformzwerg zu schrumpfen. Dies in dreierlei Hinsicht.
Erstens stellt sich die Frage, welche konkreten Probleme durch die Reform behoben werden sollen bzw. können. Mehr Autonomie für die Schulen, darin sind sich alle einig, ist eine wichtige Voraussetzung für Innovationen und führt letztlich zu einer Verbesserung der gesamten Schulqualität. Damit Autonomie so wirken kann, müssen aber bestimmte Bedingungen erfüllt und auch Hindernisse beseitigt sein. Nur wenn die nun zwischen Bund und Ländern zersplitterten Kompetenzen neu geordnet und die Gelder zielgenauer eingesetzt werden, wird mehr Autonomie gute Ergebnisse liefern.
Notwendig ist nicht eine Erhöhung, wohl aber eine Umverteilung der finanziellen Mittel zwischen den Schulen. So brauchen städtische Problemschulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus bildungsfernen Schichten ein höheres Budget als ländliche Schulen mit homogener Schülerschaft. Daher sollten die Schulen entlang eines Sozialindex finanziert werden. Dazu wiederum müssten die budgetären Feuermauem zwischen Bundes- und Landesschulen eingerissen oder zumindest durchlässig gemacht werden. Solange dies nicht gewährleistet ist, bedeutet mehr Autonomie nichts anderes als mehr Freiheit zu Mängelverwaltung. Und zur Selbstausbeutung der engagierten Lehrer.
Damit sind wir beim nächsten Punkt, der nur von Weitem aus groß erscheint. Denn das Autonomiepaket geht nur wenig über das hinaus, was für engagierte Direktoren bereits jetzt möglich ist. Eine Ausweitung der Lehrplanautonomie: wunderbar! Die Befreiung aus dem Korsett der 50-Minuten-Einheiten: begrüßenswert! Fächer- und jahrgangsübergreifender Unterricht: in vielen Ländern bewährt! Das alles wird bereits in vielen engagierten Schulen gelebt und es ist sinnvoll, endlich die gesetzlichen Regeln dafür anzupassen. Aber von einer tatsächlichen Autonomie in pädagogischer, organisatorischer, finanzieller und personeller Hinsicht ist das alles noch meilenweit entfernt.
Das zeigt sich nirgends deutlicher als bei der Auswahl der Lehrer: Dass die Direktoren nun mitentscheiden dürfen, ist ein wichtiger Schritt. Aber es beschränkt den Gestaltungsspielraum doch auf die punktuellen Anlässe des Personalwechsels. Ein professionelles Personalmanagement müsste den Schulleitern erheblich mehr Einflussmöglichkeiten auf die Zusammensetzung, Entwicklung und Förderung der Mitarbeiter geben: die einzelnen Lehrer in ihren fachlichen, pädagogischen und didaktischen Qualitäten evaluieren und bewerten dürfen, sie bei guten Leistungen belohnen und bei schlechten zu Nachqualifizierungen verpflichten können.
Schließlich soll sich ein Direktor von einem ungeeigneten Lehrer gegebenenfalls auch trennen können. All das ist freilich ohne ein modernisiertes Lehrerdienstrecht nicht zu haben – wovon in der Reform nichts zu lesen ist.
Der dritte Schwachpunkt besteht im Konzept der Freiwilligkeit und der idealistischen Annahme, die fortschrittlichen Schulen würden die anderen “an der Hand nehmen” und ihnen dadurch zu innovativen Strukturen verhelfen. So soll ein Umbau des gesamten Systems in Gang kommen. Doch die Gefahr ist groß, dass vor allem jene Schulen von den neuen Möglichkeiten profitieren, die ohnehin von einem engagierten Direktor und einer motivierten Lehrerschaft geführt werden. Und dass jene Schulen, die sich bisher als reformresistent erwiesen haben, keinen Grund sehen, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Und weiter zurückfallen.
Warum sollten fehlbesetzte Direktoren ihre Machtposition freiwillig an übergeordnete Clusterleiter abgeben, um von diesen in Zukunft kontrolliert zu werden? Das Konzept der Freiwilligkeit hat in einer bürokratisch-hierarchischen Struktur, wie es der Schulbereich nun einmal ist, wenig Aussicht auf Erfolg. Denn es setzt jene verantwortlichen Direktoren voraus, die es im Zuge seiner Ausbreitung erst erzeugen will. Daher überrascht es wenig, dass das vorliegende Konzept nichts darüber sagt, bis wann die Maßnahmen umgesetzt sein sollen.
Nach dem Erstellen eines Autonomiehandbuchs für Schulleiter sollen im Schuljahr 2017/18 erst einmal einige “Leuchtturmschulen” beginnen, das gesamte Programm soll dann erst bis zum Jahr 2025 Realität werden. Es ist schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass hier einmal die Zeit bis zur nächsten Nationalratswahl überbrückt werden soll, ohne zuvor in direkte Konflikte mit den mächtigen Interessengruppen zu geraten.
Noch sind die Reformgesetze nicht veröffentlicht, noch sind die Details nicht bekannt, in denen der Teufel steckt. Sicher ist: Wenn das vorliegende Autonomiepaket eine nachhaltige Veränderung der Schullandschaft einleiten soll, müssen die Gesetze realistischer ausfallen, als es in den Entwürfen angedeutet ist. Eine neue Verantwortungs- und Steuerungsstruktur im Schulwesen entsteht nicht allein durch den Goodwill der Betroffenen.
Das Prinzip der Freiwilligkeit kann durchaus für eine Anfangsphase gelten, bevor die Umsetzung dann verpflichtend wird – wenn möglich etwas schneller als bis 2025. Dazu braucht es klare Zielvorgaben und ein Stufenkonzept für die Umsetzung, das vor allem auch jene Schulen im Fokus hat, an denen die Probleme nicht allein durch mehr Autonomie gelöst werden können. Nur dann lässt sich hoffen, dass die neue Bildungsreform ihre Vorgänger zumindest um ein paar Zentimeter überragt.
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