Die Wahl ohne Beteiligung
- 10.04.2024
- Lesezeit ca. 3 min
Kein Land lebt die Interessensvertretung so intensiv wie wir.
Die Vertretungen von Unternehmen und Arbeitnehmern bilden einen Staat im Staat, der sich trotz politischer Veränderungen weitgehend gegen Wandel immunisiert hat. 2013 belegte die SPÖ zuletzt bei Nationalratswahlen den Spitzenplatz. 2017 und 2019 folgte die ÖVP, aktuelle Umfragen legen einen abermaligen Wechsel an der Spitze nahe. Kaum wankelmütig zeigen sich Österreichs Kammern. Wer als Sieger der nun beginnenden AK-Wahlen hervorgehen wird, wird weniger überraschen; hat es auch in der Vergangenheit nie.
Das Geheimnis hinter diesem Mysterium liegt an der überschaubaren Wahlbeteiligung. Lag die Wahlbeteiligung bis in die 1980er-Jahre noch bei über 60 Prozent, freute man sich zuletzt, wenn zumindest 40 Prozent der Arbeitnehmer zur Urne gingen. Geht es bei den Nationalratswahlen oft darum, Wechselwähler und Unschlüssige zu überzeugen, muss die Kammer die Menschen dazu bringen, überhaupt wählen zu gehen. Interessiert Sie denn gar nicht, wer Sie zwangsvertritt?
Die Arbeiterkammer führt den mangelnden Andrang an der Wahlurne auf ihre hervorragende Arbeit zurück. Und ganz unrecht hat sie nicht: Von der Rechtsberatung bis hin zu Tipps zur legalen Steuervermeidung – die AK ist dein Freund und Helfer. Dennoch dürfte die fehlende Beteiligung vielfältigere Gründe haben: Wer zufrieden mit seinem Arbeitsleben ist oder sich von einer Pflichtmitgliedschaft nicht vertreten fühlt, der wählt eben nicht. Dabei unterschätzen viele, welche Macht wir den Sozialpartnern übertragen haben. Und damit sind nicht die Vertreter im Beirat für Meteorologie oder historische Fahrzeuge gemeint. Es geht um die Hunderten Millionen Euro, die wir jährlich an unsere Kammern überweisen; nicht ganz freiwillig und oft unbewusst. Denn diese Spende versteckt sich hinter den Lohnnebenkosten, deren Senkung hierzulande katastrophale Folgen hätte, wie die Kammer seit Wochen trommelt.
Nicht falsch verstehen: Mit den Beiträgen wird auch viel Gutes geleistet, aber eben auch vieles, was es nicht bräuchte. Wenn Geld übrig bleibt, wird es nicht etwa den Arbeitnehmern zurückgegeben – auch nicht in Jahren der Teuerungskrise. Das Geld wird fleißig am Kapitalmarkt veranlagt – jenes Teufelswerk, von dem Sie laut AK tunlichst die Finger lassen sollten –, um für den späteren Ruhestand der eigenen Mitarbeiter neben dem besten Pensionssystem der Welt noch ein paar extra Groschen zu haben – was Sie natürlich nicht brauchen. Die wahre Macht kommt jedoch aus der Nähe zur Politik: Vertreter der Kammern sitzen im Parlament und dessen Ausschüssen und stellen Minister der Regierung. Sie machen Vorschläge für Gesetze, formulieren diese aus, begutachten sie und stimmen am Ende darüber ab. Selbst über das Milliardenbudget der Sozialversicherung wachen sie.
Also, gehen Sie wählen.
Gastkommentar von Hanno Lorenz im “Kurier” (10.04.2024).
Mehr interessante Themen
Wenig Anreize für mehr Arbeit
Österreich ist eine Teilzeit-Republik. Das ist in Zeiten des Arbeitskräftemangels ein großes Problem. Und es wird vom Steuersystem indirekt gefördert, denn Mehrarbeit zahlt sich einfach nicht aus. Wer rechnen kann, stockt daher die Arbeitsstunden nicht auf. In kaum einem anderen Land bestraft das System Vollzeitarbeit so sehr, wie in Österreic
Frage an die SPÖ: Darf ein privates Unternehmen privatisiert werden?
Nachdem sich die Republik Österreich aus der maroden Vamed zurückgezogen hat, scheint die Gesundheitsversorgung in Gefahr. Eine rot-weiß-rote Groteske.
Die teuersten Jahre aller Zeiten
Bei ihrem Amtsantritt vor viereinhalb Jahren wollte Türkis-Grün noch die Bürger entlasten und keine neuen Schulden machen. Doch daraus wurde nichts. Auch diese Regierung erlag der Lust am Geldverteilen.
Das lange Leben der kalten Progression
Auch wenn der Finanzminister gerne das Gegenteil behauptet: Die kalte Progression wurde nicht zur Gänze, sondern nur zu zwei Dritteln abgeschafft. Das letzte Drittel wird jeden Sommer von der Regierung verteilt. Wie stark die kalte Progression noch immer an den Finanzen der Bürger knabbert, zeigt eine Berechnung der Agenda Austria. Würden die ak
Post aus Brüssel
Die EU-Kommission mahnt Österreich zu einem sparsameren Budgetkurs. Die Warnung kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.
Digitaler Nachzipf
Kurz vor Ferienstart präsentiert Bildungsminister Martin Polaschek ein Digitalisierungspaket für die Schulen. Damit ist Österreich wieder einmal spät dran. Man muss es leider so deutlich sagen: Österreich hat die Digitalisierung des Bildungssystems verschlafen.