Foto: © Gage Skidmore / Wikimedia Commons
In den USA wie in Europa werden die Rufe nach dem Schutz heimischer Industrien immer lauter. Chinas Kommunisten brechen derweil eine Lanze für den Freihandel. – Ein Kommentar von Franz Schellhorn
Als die internationalen Spitzen aus Politik und Wirtschaft im vergangenen Jänner zum Weltwirtschaftsforum nach Davos reisten, war klar, was die Daheimgebliebenen zu erwarten hatten. Allem voran die alljährliche Meldung des britischen NGO-Dachverbands Oxfam, wonach die Welt wieder ungerechter geworden sei, weil ein paar wenige Superreiche so viel Vermögen besäßen wie die Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. Wie dieser Befund zustande kam und ob er so überhaupt stimmt, interessierte niemanden. Die Nachricht verbreitete sich wie schon in den Jahren davor in Windeseile in der ganzen Welt.
Nicht in die Schlagzeilen schaffte es leider eine andere, durchaus bemerkenswerte Nachricht: Chinas Staatspräsident Xi Jingping hat in Davos offensiv für die Fortsetzung der wirtschaftlichen Globalisierung geworben. Der Chef der weltweit größten kommunistischen Partei warnte eindringlich davor, die protektionistischen Ansätze vieler Staaten in die Realität umzusetzen, weil das zu “Krieg und Armut” führen werde. Gerichtet war die Grußbotschaft vor allem an einen: US-Präsident Donald Trump, der mit Hilfe von Schutzzöllen die Vereinigten Staaten zu alter Stärke zurückführen will. Zu Beginn des dritten Jahrtausends beschwören also die Kommunisten die Vorzüge des Freihandels, während die als eingefleischte Kapitalisten geltenden Republikaner dem Protektionismus das Wort reden.
Dabei ist Trump mit seiner Sicht der Dinge keineswegs alleine. In weiten Teilen Europas plädieren Parteien an den rechten und linken Rändern seit Jahren für das Aufziehen neuer Importschranken, um die nationalen Industrien zu schützen. Neuerdings kommen derartige Rufe auch aus der politischen Mitte. So schreibt Kanzler Christian Kern (SPÖ) in seinem Arbeitsprogramm: “Die USA zeigen vor, wie es geht, und haben Einfuhrzölle für chinesischen Stahl von bis zu 260 Prozent erlassen. Europa war bisher hingegen untätig und hat einen Zoll von nur 20 Prozent. Daher fordern wir auf europäischer Ebene vehement neue Maßnahmen gegen Dumping, insbesondere
einen angemessenen Aufschlag von mehr als 200 Prozent auf chinesischen Stahl.”
Mit anderen Worten: Der Protektionismus ist wieder gesellschaftsfähig. Das war nicht immer so, spätestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs sorgte der Freihandel für Furore. An dieser Stelle wäre wohl auch der Hinweis angebracht, dass die Menschheit mit dieser Globalisierung im ökonomischen Sinn ziemlich gut gefahren ist. Allein in den vergangenen 30 Jahren ist die weltweite Armut stärker zurückgegangen als in den 1000 Jahren davor. Der Grund dafür heißt freie Marktwirtschaft und freier Handel. Um es etwas pointierter zu formulieren: Der Freihandel hat in den vergangenen 30 Jahren mehr Menschen aus der Armut befreit, als alle Gewerkschaften, Parteien und Kirchen zusammengenommen.
Und dennoch gilt der Freihandel als gescheitert. Nicht nur das: Er steht im Ruf, kalt, herzlos und brutal zu sein, eine Wirtschaftsordnung, die den Starken und Wohlhabenden helfe und die Armen ausbeute. Erst zu Ostern wiederholte Papst Franziskus: “Diese Wirtschaft tötet.” Gemeint ist nicht die Planwirtschaft von Venezuela, sondern die globalisierte Marktwirtschaft. Während also noch immer Millionen von Menschen im Sozialismus verhungern und elend zugrunde gehen, sitzt jene liberale Wirtschaftsordnung auf der Anklagebank, die den Menschen einen noch nie da gewesenen Massenwohlstand gebracht hat. Das bedeutet nicht, dass es in den offenen Märkten keine Verlierer gäbe und dass alle gleichermaßen profitierten. Aber es bedeutet, dass der Wohlstand nirgendwo auf der Welt breiter verteilt ist und nirgendwo mehr Geld zur Bekämpfung von Not und Elend zur Verfügung steht als in den freien Marktwirtschaften mit geöffneten Märkten.
Die Freiheit grenzenlos zu handeln steht interessanterweise nicht in den armen Ländern dieser Welt zur Disposition, sondern in den Wohlstandshochburgen. Nicht jene Menschen fürchten sich vor freiem Handel, die wenig haben – sondern jene, die seit Jahrzehnten in Frieden leben und Ausbildungsmöglichkeiten vorfinden, von denen Menschen in den benachteiligten Gebieten dieser Welt nur träumen können.
In den USA und Europa aber wird darüber geklagt, dass der internationale Handel auf einer schiefen Ebene ablaufe – und nur dann zu begrüßen sei, wenn alle Beteiligten zu denselben Bedingungen produzierten. Dabei müsste jedem klar sein, wie absurd es wäre, Waren aus Fernost zu importieren, wenn sie zu denselben Bedingungen hergestellt würden. Genau das Nützen komparativer Vorteile ist es ja, das den weltweiten Handel überhaupt erst ermöglicht. Hier lesen Linke sofort “Ausbeutung”, was der große britische Ökonom David Ricardo bereits im 18. Jahrhundert widerlegte: Freier Handel ist zum Nutzen aller Beteiligten, auch wenn das in unseren Breiten kaum jemand zu glauben scheint.
Auch in Österreich fällt der Wunsch, alle benötigten Güter und Dienstleistungen im Inland herzustellen, auf fruchtbaren Boden. Dass auf diesem alles Mögliche, nur kein Wohlstand wächst, zeigen zahllose Beispiele. Argentinien ist neben Venezuela eines der aktuelleren. Dessen mittlerweile abgewählte Präsidentin Cristina Kirchner hat die Doktrin ausgegeben, bis zur letzten Schraube alles im Inland zu erzeugen zu wollen. Einige Jahre funktionierte die Strategie ganz gut, in den geschützten Industrien entstanden neue Jobs, die allerdings wegen der weggefallenen Billigimporte bald nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Die Folge: immer schneller steigende Preise für mittelmäßige Qualität.
Was das für die Menschen tagtäglich bedeutet, schilderte der Presse-Korrespondent Andreas Fink unlängst in einer vergleichsweise bedrückenden Reportage. Jedes Wochenende bilden sich an den Grenzübergängen zu Chile kilometerlange Schlangen, weil im Nachbarland die Güter des täglichen Bedarfs nur die Hälfte oder gar ein Drittel kosten. Chile hat 26 Freihandelsabkommen abgeschlossen und betreibt mit über 50 Volkswirtschaften zollfreien Handel. Fliegen Argentinier heute nach Florida, um dort ein I-Phone zu kaufen, kommt sie das selbst bei ordnungsgemäßer Verzollung günstiger, als das Gerät in einem argentinischen Geschäft zu erwerben. Wird der Flug rechtzeitig gebucht, wären noch immer zwei Hotelnächte in Florida im Budget. Und wer mit drei Geräten zurückkommt und zwei über das Internet in Argentinien verkauft, bekommt sein importiertes I-Phone de facto kostenlos. Willkommen in der Welt der Schutzzölle.
Von derartigen Erfahrungen lassen sich Freihandelsgegner in den USA und Europa nicht beeindrucken. Sie haben in Donald Trump ihren bis dato mächtigsten Verbündeten gefunden. Was aber passiert, wenn er seine protektionistischen Pläne in die Tat umsetzt? Wie auch in Argentinien werden Schutzzölle zu Beginn der US-Wirtschaft helfen. In weiterer Folge werden sich auch die Ausfuhren der USA abschwächen, weil die in den USA hergestellten Produkte aufgrund wegfallender Billigzulieferungen teurer werden. Ein Grund für die hohen Importe der USA liegt ja darin, dass die eingeführten Waren anderswo effizienter hergestellt werden.
Die Europäer könnten die schwächer werdende Konkurrenzfähigkeit der USA dazu nützen, die USA als Zulieferer in Drittmärkten zu ersetzen. Damit könnte zumindest jener Schaden minimiert werden, der im Falle einer harten Variante des US-Protektionismus auch in Europa beträchtlich wäre. Die USA sind der wichtigste Exportmarkt der EU, für Österreich sind sie nach Deutschland der zweitwichtigste Auslandsmarkt – am Ende würden also nur Verlierer übrig bleiben.
Einzig die großen europäischen Unternehmen werden sich zu helfen wissen, indem sie in den USA Fertigungsstraßen errichten, um sich den dortigen Absatzmarkt zu sichern. Kleine und mittlere Unternehmen werden übrig bleiben. Womit sich einmal mehr zeigt: Freihandelsabkommen sind eben nicht für Großkonzerne, wie uns die TTIP-Gegner immer wieder erklärt haben, sondern für kleinere und mittlere Betriebe.
Die chinesischen Kommunisten wissen um diese Wechselwirkungen, während wir im reichen Westen sie längst vergessen haben. Frei nach Henry Kissinger: Der Protektionismus findet eben ausschließlich dort Zulauf, wo er nicht herrscht.
Gastkommentar von Franz Schellhorn, “Furche” 22/2017, S. 6
Da wir Europäer aufgehört haben, über die Schaffung gemeinsamer Wirtschaftsräume nachzudenken, orientieren sich nun selbst unsere Partner nach den gescheiterten Verhandlungen mit der EU in Richtung Pazifik. Dort existiert mit RCEP mittlerweile das größte Handelsabkommen überhaupt.
Die Grafik zeigt, dass die EU dem globalen Trend folgt und zunehmend Interventionen setzt, die den Handel einschränken. Die Global Trade Alert-Datenbank dokumentiert Interventionen, die den Handel betreffen und kategorisiert, ob sie zugunsten (grün) oder zulasten (rot) anderer Länder gehen.
Gerade ein kleines Land wie Österreich erwirtschaftet einen großen Teil seines Wohlstands jenseits der Landesgrenzen. Und das geht eben umso besser, je freier der Handel mit den wichtigsten Partnern ist.
Österreich verkauft seine Produkte stolz in alle Welt. Doch wenn die Welt uns etwas verkaufen will, regiert das Misstrauen. Das Nein zu Mercosur und anderen Handelsabkommen ist schizophren und verbaut Chancen für die Zukunft.
Die EU antwortet mit einer riesigen Subventionswelle auf die neue grüne Standortpolitik der USA. Da wie dort wird das sauer verdiente Geld der Steuerzahlenden für Machtinszenierungen eingesetzt. Klug ist das nicht.
Die Österreicher scheinen ein gespaltenes Verhältnis zum Thema Freihandel zu haben, findet eine Befragung im Auftrag der Europäischen Kommission.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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