Geld bestimmt unser aller Leben, aber in der Schule ist Wirtschaft kaum Thema. Das muss sich ändern. Wer kein Finanzwissen hat, wird immer zu den Verlierern gehören.
Mein Geografielehrer hatte zum Thema Wirtschaft ein entspanntes Verhältnis. In meiner Klasse gab es zwei Schüler, die das interessierte: Hannes und mich. Hannes war Kommunist, ich nicht. Stundenlang stritten wir uns über Vor- und Nachteile marktwirtschaftlicher beziehungsweise kollektivistischer Systeme. Es war wunderbar. Es war belebend. In welche Richtung der Geo-Lehrer tendierte, weiß ich bis heute nicht. Er gab den neutralen Schiedsrichter, klärte auf, wo es Fragen gab.
Wir durften uns unser eigenes “Schulfach Wirtschaft” basteln. Dabei haben wir viel gelernt. Wir hatten Glück. Aber der Großteil der heimischen Schüler lernt bis heute kaum etwas über Geld und Finanzen. Das soll sich jetzt ändern. Endlich. Geld bestimmt unser Leben. Jede 16-Jährige trägt heute ein Smartphone herum, das ihr finanzielles Leben bereichern oder ruinieren kann. Es gibt viele Chancen. Aber auch Gefahren. Überall lauern Abzocken und Kleingedrucktes. Da hilft nur Erklären, Aufklären und die Befähigung zur Selbstbestimmung. Schule muss hier ansetzen.
Ein ideologischer Kleinkrieg bringt uns nicht weiter. Der Geografielehrer und Pädagogikprofessor Christian Fridrich hat sich an dieser Stelle dennoch gegen ein “Schulfach Wirtschaft” ausgesprochen. Er befürchtet den Einfluss von “Marktfundamentalisten”. Ein Vorwurf, den ich schon vor 20 Jahren in der Gymnasium-Oberstufe von Hannes gehört habe. Hinter diesem Schimpfwort versteckt sich meist der Wunsch, die Welt zu verändern, statt sie zu erklären. Das ist kein pädagogisch wertvoller Ansatz.
Wir leben nun mal in einer Marktwirtschaft. Der Markt regelt viele Bereiche unseres Lebens. Das wird sich so schnell nicht ändern. Die technische Revolution sowie die Globalisierung verstärken den Trend eher noch. Das bedeutet: Finanzfragen werden im Alltag immer wichtiger. Wer die Botschafter dieser Fakten als “Fundamentalisten” beschimpft und sie abkanzelt, legt nur seine eigene Berührungsängste mit der Realität offen.
Lohn, Steuern, Kredit, Versicherungen, Investitionen, Immobilien, Pensionsvorsorge und sogar Kindererziehung. Alles ist am Ende eine Frage des Geldes. Die gute Nachricht: Das Finanzsystem ist wie eine Fremdsprache, die man erlernen kann. Vor 40 oder 50 Jahren war die Welt ein bisschen einfacher. Die Wirtschaft wuchs, am Sparbuch gab es Zinsen, ein Bausparvertrag machte Sinn, und mit dem Eigenheim und der staatlichen Pension war das finanzielle Leben des Durchschnittsösterreichers abgeschlossen. Heute ist das ein bisschen anders. Wer sein Geld aufs Sparbuch legt, verliert jeden Tag.
Die Inflation ist insgesamt zwar gedämmt, kleinere Einkommen werden durch Preissteigerungen bei Nahrung und Wohnen dennoch stark belastet. Schon auf Teenager lauern Fallen. Zuerst werden sie mit dem Versprechen eines “Gratis”-iPhones über den Tisch gezogen, dann verzocken sie ihr Geld beim Handyspiel ihrer Wahl. Wer noch Zeit hat, packt einen Flatscreen auf Pump drauf – und die Schuldnerkarriere hat schon begonnen, bevor die Schule abgeschlossen ist. Sind das negative Seiten unseres Systems? Natürlich. Aber solange wir sie nicht thematisieren, wird alles nur noch schlimmer werden. Wer kein Finanzwissen hat, wird immer zu den Verlierern gehören.
Professor Fridrich schreibt: “Wirtschaft ist nicht etwas Gegebenes, sondern das Ergebnis menschlicher, interessengeleiteter Handlungen und daher von Menschen mitgestaltbar.” Wie recht er doch hat! Der Markt, das sind wir. Die Wirtschaft, das sind wir. Wir sind die Steuerzahler, die Unternehmer, die Angestellten und die Konsumenten. Wie dieses Land in 20 Jahren dasteht, entscheidet nicht die Politik. Die kann nur den Rahmen vorgeben. Wie es mit Österreich weitergeht, entscheiden die Menschen, die hier leben. Dabei ist es übrigens egal, ob ihre Familie seit 800 Jahren hier lebt oder seit acht Wochen.
Österreich braucht mündige Bürger, die sich etwas aufbauen können. Der Grundstein dafür muss in der Schule gelegt werden. Kinder müssen die Grundlagen der Marktwirtschaft verstehen und dann auch erfahren, was der Zins ist und warum Fonds für Kleinanleger besser sind als Einzelaktien, die auf null gehen können. Zuvor sollten sie lernen, dass Aktien Unternehmensbeteiligungen sind und nicht etwa Lottoscheine, für die sie viele halten.
Sind diese Forderungen zu spezifisch? Zu kapitalistisch gar? Nicht in einer Situation der andauernden Nullzinsen! Teilhabe am Kapitalmarkt wird in den kommenden Jahrzehnten genauso wichtig wie Teilhabe an der Zivilgesellschaft sein. Nur wer die Sprache des Geldes spricht, kann gute Entscheidungen treffen und auch den Tricks der Finanzindustrie entgehen.
Ist die Finanzbildung damit erledigt? Natürlich nicht. Auch Eltern, Medien, Staat und Banken stehen in der Verantwortung. Die Zeit drängt. Wenn wir die Wirtschaft- und Geldbildung in diesem für Sparer gefährlichen Umfeld nicht massiv in die Höhe fahren, könnten wir eine ganze Generation verlieren. Aber wir brauchen diese Kinder! Sie sind die Unternehmer, Angestellten, Konsumenten und Steuerzahler der Zukunft. Ohne ihre Power wird auch das Pensionssystem irgendwann nicht mehr finanzierbar sein. Dann kommt der ganze Sozialstaat ins Rutschen. Ist ein eigenes Schulfach “Wirtschaft und Finanzen” also sinnvoll? Ja, absolut. Wir hätten es schon vor 20 Jahren gebraucht. Ich hatte damals Glück. Aber auf Glück dürfen wir uns heute nicht verlassen.
Gastkommentar von Nikolaus Jilch in dem „Standard“ (16.10.2020)
Dieses muss aber nicht durch neue Steuereinnahmen aufgetrieben werden, sondern könnte durch eine Umstrukturierung der Bildungsausgaben frei werden. Hierzulande wird für die frühen Phasen der Bildungskarriere – im Verhältnis zu fortgeschrittenen Ausbildungsstufen – wenig Geld ausgegeben. Länder wie Dänemark, Schweden oder Estland investier
Die ersten Jahre sind entscheidend für die sprachliche und soziale Entwicklung eines Menschen. Kinder sind in frühen Jahren besonders lernfähig. Was in dieser Zeit verpasst wird, erhöht später die Kosten für das Bildungssystem, aber auch für die Gesellschaft insgesamt.
Mehr Zeit in der Schule und damit in einem geregelten Umfeld fördert die sprachliche und soziale Integration. Es sollten daher viel mehr Schulen in einen Ganztagsmodus wechseln. Derzeit gibt es beim Angebot noch große regionale Unterschiede.
Mangelhafte Sprachkenntnisse führen zu einer Einstufung als außerordentlicher Schüler und zur verpflichtenden Teilnahme an einem Deutschförderkurs oder – sind die Kenntnisse unzureichend – einer gesonderten Deutschförderklasse. Doch im Schulstartalter hat das Unheil schon längst seinen Lauf genommen.
Sieben von zehn Wiener Pflichtschülern sprechen im Alltag nicht vorwiegend Deutsch. Das muss nicht zwangsläufig ein Problem darstellen, Mehrsprachigkeit kann ja sogar ein Vorteil sein. Allerdings nur, wenn die Kinder Deutsch zumindest gut genug beherrschen, um dem Schulunterricht zu folgen. Letzteres ist leider sehr oft nicht der Fall.
Je nach Schultyp dauert der Einstieg in die Erwerbstätigkeit unterschiedlich lang, wie eine Auswertung der Agenda Austria zeigt. Absolventinnen einer Lehre beginnen im Schnitt nach sieben Tagen einen Job. „Das zeigt, dass die Lehre besser ist als ihr Ruf und Personen mit Lehrabschluss auf dem Arbeitsmarkt gefragter sind denn je“, sagt Agenda A
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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