Brüssel sei in der Hand mächtiger Wirtschaftslobbys, wird gern beklagt. Wenn das stimmt, machen sie einen herausragend schlechten Job.
Und, wie fanden Sie den EU-Wahlkampf so? Für meinen Geschmack war die Sache ziemlich ernüchternd. Die Länder der EU sind ohne Hilfe der USA militärisch nicht zu verteidigen, aber niemand hat ein Konzept, wie das konkret zu ändern wäre. Die Länder der Union haben die Kontrolle über ihre Außengrenzen verloren, aber niemand hat einen Plan, wie das zu korrigieren wäre. Der Anteil Europas an der weltweiten Wirtschaftsleistung hat sich seit den 1980er-Jahren mehr als halbiert, aber niemand hat eine Idee, wie sich der wirtschaftliche Abstieg bremsen ließe. Statt sich der Lösung dieser drei zentralen Herausforderungen zu widmen, scheint sich die EU widerstandslos ihrem Schicksal zu fügen. „America innovates, China replicates, Europe regulates“, lautet ein alter Spruch, der leider zutrifft. Während in den USA und in China die Unternehmen der Zukunft aus dem Boden schießen, klopfen die Brüsseler Kommissionsbeschäftigten einander auf die Schulter, weil es der EU als erstem Wirtschaftsraum weltweit gelungen ist, die künstliche Intelligenz zu regulieren.
Eines dieser zukunftsträchtigen US-Unternehmen heißt Nvidia und stellt hochleistungsfähige Chips für die Nutzung der künstlichen Intelligenz her. Nvidia ist heute mehr wert als alle deutschen Topaktien zusammen – ein Unternehmen, von dem viele Europäer noch nie gehört haben. Jetzt ist es nicht so, dass Europa keine Shootingstars vorzuweisen hätte. Denken wir nur an Novo Nordisk. Weltberühmt geworden ist der dänische Pharmakonzern mit seinem Medikament Wegovy, einem Wunderding, mit dessen Hilfe sich das angesammelte Bauchfett anstrengungslos wegspritzen lässt. Zumindest für die Bekämpfung seiner wohlstandsinduzierten Fettleibigkeit findet Europa noch Lösungen, das soll man nicht geringschätzen. Derartige Erfolgsgeschichten sind aber leider selten geworden und passieren meistens auch nur zufällig.
Schlimm daran ist, dass das niemand wirklich schlimm zu finden scheint. Wir haben zwar kein Netflix, kein Google und auch kein Amazon. Dafür haben wir konfiskatorisch hohe Steuern, ausufernde Sozialleistungen und knallharte Regulierungen. Dennoch wird in manchen Kreisen noch immer behauptet, dass ganz Brüssel nach der Pfeife einflussreicher Wirtschaftslobbys tanze. Angesichts der Fakten ist das eine absurde Unterstellung. Hätten solche Lobbyisten etwas zu melden, würde die EU längst Hightech-Produkte zollfrei in den 260 Millionen Einwohner zählenden Mercosur-Raum (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay) liefern und im Gegenzug landwirtschaftliche Produkte aus Südamerika einführen. Das geht aber leider nicht, weil unsere Landwirte kein argentinisches Rindfleisch mögen, Gewerkschaften „Sozialdumping!“ schreien und NGOs um die südamerikanischen Regenwälder besorgt sind.
In Peking wird derweil schon Schnaps eingeschenkt; dort wartet man nur noch darauf, dass die Südamerikaner die moralisierenden Europäer zum Teufel jagen und das Freihandelsabkommen mit den Chinesen abschließen. China hat bereits die größte Freihandelszone der Welt geformt, sich halb Afrika unter den Nagel gerissen und ist jetzt auch noch drauf und dran, die wichtigsten Volkswirtschaften Südamerikas an sich zu binden. Europa kapiert nicht, welche Folgen das haben wird: Bisher orientierten sich die meisten Produktstandards an unseren Bedürfnissen, in Zukunft werden die Chinesen die Richtung vorgeben. Die EU wird unwichtiger, ohne die Welt zu einem besseren Platz gemacht zu haben. Oder glaubt irgendjemand, dass sich das kommunistische China aufopferungsvoll um die Wasserqualität des Amazonas kümmert? Oder auch nur einen Gedanken an die soziale Lage südamerikanischer Bergarbeiter verschwendet?
Der wirtschaftliche Bedeutungsverlust der EU war in den Wahldebatten kein Thema. Offenbar will sich niemand mit der Frage befassen, wie neue Begeisterung zu entfachen und der Binnenmarkt wieder zur wirtschaftlich dynamischsten Region der Welt zu machen wäre. Wichtiger ist, wie es mit dem Wolf weitergehen soll.
Marktwirtschaft und freier Handel haben Europa wohlhabend gemacht. Wir wären gut beraten, uns daran zu erinnern. Die EU braucht eine radikale Deregulierung und mehr Vertrauen in die Menschen auf diesem Kontinent. Sie wissen besser, was für sie gut ist, als die Heerschar an Experten und Politikern, die in jedem Individuum eine Gefahr auf zwei Beinen sehen.
Kolumne von Franz Schellhorn in “Die Presse” (07.06.2024).
Ein Sparpaket würde nur das zarte Wachstum gefährden, warnen Experten. Seltsamerweise ist der Zeitpunkt für höhere Steuern stets perfekt.
Am morgigen Dienstag schreiten die US-Amerikaner an die Wahlurnen und bestimmen, wer (wieder) in das Weiße Haus einziehen darf. Die wirtschaftliche Lage müsste eigentlich den Demokraten in die Karten spielen:
Fast schon im Wochentakt schlagen bei den Unternehmen neue Regeln auf. Es kann schon längst nicht mehr als EU-Bashing gelten, den Regelungswahn der Brüsseler Schreibtischakrobaten als unmäßig zu kritisieren. Wir werfen einen Blick in die Giftküche der Bürokratie.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die EU ist schon längst kein wirtschaftliches Schwergewicht mehr. Demografisch und ökonomisch spielt die Musik inzwischen in Asien; die EU und die USA sind auf dem absteigenden Ast.
Der Gender Pay Gap misst die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Sie liegt in Österreich laut Statistik Austria bei 18,4 Prozent und damit höher als in den meisten anderen EU-Ländern.
Die Wälder sind in Österreich gesetzlich geschützt und wachsen seit Jahrzehnten prächtig.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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