Die Arbeit ist kein Kuchen
- 10.08.2020
- Lesezeit ca. 3 min
Warum eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge richtig und eine Arbeitszeitverkürzung falsch ist.
Eine alte Behauptung hat momentan Konjunktur. Nämlich jene, dass wir Arbeitslosigkeit am besten bekämpfen, wenn wir die zu erledigende Arbeit einfach auf mehr Köpfe verteilen. Zuletzt hat Vizekanzler Werner Kogler in einem „Kurier“-Interview die Debatte neu entfacht und eine verkürzte „Corona-Arbeitszeit“ angeregt: Wenn vier Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit freiwillig auf 80 Prozent reduzierten, könnte eine fünfte Person eingestellt werden.
Die Gewerkschaft nahm den Ball dankbar auf und mahnte von den Arbeitnehmern Solidarität ein. Im Sinn der Fairness sollte es möglich sein, die Arbeit von vier auf fünf Menschen zu verteilen, ohne Lohneinbußen, so das Argument. Klingt nach Magie, ist es aber nicht: Die Mehrkosten trägt einfach der Staat. Seit die Geldschleusen im Zuge der umfassenden Coronahilfen ohnehin sperrangelweit offen stehen, gibt es offenbar nichts mehr, wofür der gütige Vater Staat nicht aufkommen könnte.
Mehrkosten trägt der Staat
Die wohl berühmteste Arbeitszeitverkürzung fand im Jahr 2000 in Frankreich statt. Dort wurde die Wochenarbeitszeit von 39 auf 35 Stunden verkürzt. Ziel war es, die Arbeitslosenrate zu senken. Funktioniert hat das nur leider nicht. Die Arbeitslosigkeit ging kaum zurück, die Beschäftigung stieg nahezu gar nicht. Arbeit lässt sich eben nicht wie ein Kuchen verteilen. Da Arbeitslose oft über ganz andere Qualifikationen verfügen als jene, deren Arbeitszeit verkürzt wurde. Auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit gibt es deshalb zunehmend einen Mangel an Fachkräften.
Doch warum hat die Arbeitsteilung in Frankreich nicht funktioniert? Aufgrund der reduzierten Arbeitszeit sind die Produktionskosten gestiegen, die schließlich von den Kunden über höhere Preise zu bezahlen waren. Die gestiegenen Preise führten zu einer sinkenden Nachfrage der verteuerten französischen Produkte und Dienstleistungen. Womit der erhoffte Beschäftigungseffekt verpuffte. Die Zahl der Angestellten stieg nicht nachhaltig an, die Arbeitslosigkeit blieb unverändert hoch. Das Modell der Arbeitszeitverkürzung basiert schließlich auf der falschen Annahme, dass die zu erbringende Arbeit immer konstant bleibt.
Eine weitere Legende in diesem Zusammenhang lautet, dass kürzere Arbeitszeit zu höherer Produktivität führt. Zwar kommen zahlreiche Studien zu dem Schluss, dass die Produktivität ab einer gewissen Stundenanzahl abnimmt, aber erst ab einem Arbeitspensum von 60 Stunden in der Woche. Eine Senkung von 39 auf 35 Stunden liegt weit unter dieser Zahl und lässt daher keinerlei Rückschlüsse auf ein Produktivitätswunder zu.
Jobs, Jobs und noch mehr Jobs
Der einzige Weg, die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu senken, sind Jobs, Jobs und noch mehr Jobs. Der Staat sollte Anreize für Unternehmen setzen, wieder neue Arbeitsplätze zu schaffen. So ließe sich die Beschäftigung beispielsweise mit einer Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für Neueinstellungen erhöhen. Eine Reduktion der Abgaben verringert die Kosten für den Arbeitgeber, ohne dass die Kaufkraft des Arbeitnehmers sinkt. Hier gibt es ein Positivbeispiel: In Schweden führte eine solche Reform zu einer höheren Beschäftigung und höheren Löhnen.
Freilich spricht nichts dagegen, dass Unternehmen freiwillig die Arbeitszeit der Mitarbeiter verkürzen. Erhöht das in Einzelfällen sogar die Produktivität, ist dies für alle Beteiligten zu begrüßen. Tatsächlich wurden solche Modelle in manchen Unternehmen auch erfolgreich eingeführt. Daraus Schlüsse auf die Gesamtwirtschaft zu ziehen wäre aber falsch und gesellschaftlich wie wirtschaftlich gefährlich.
Gastkommentar von Hanno Lorenz in der „Presse“ (07.08.2020)
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