Ich schreibe dies am Tag nach der Europawahl. Bei uns in Deutschland zeichnet sich immer deutlicher ein Wandel des Parteiensystems ab, während das traditionelle Parteiensystem in Österreich vergleichsweise stabil wirkt.
ÖVP und SPÖ kommen zusammen jedenfalls immer noch in die Nähe von 60 Prozent, die Unionsparteien und die SPD dagegen sacken deutlich unter 50 Prozent. Der Aufstieg der Grünen und der AfD zu neuen Volksparteien geht weiter, in Ostdeutschland ist die AfD jetzt überall Nummer eins oder Nummer zwei.
Der Erfolg dieser beiden so unterschiedlichen Parteien hat die gleiche Ursache. Viele trauen der alten Garde nicht mehr zu, dass sie irgendeines der anstehenden Probleme wirklich lösen könnte. Nicht die Krise des Bildungssystems, nicht die Regulierung der Migration auf ein für die Mehrheit akzeptables Maß, nicht die ehrgeizige Energiewende auf eine für Normalverdiener erträgliche Weise, nicht den Verfall der Infrastruktur, nicht den Niedergang der Wirtschaft, die von Steuern, Fachkräftemangel und Bürokratie langsam, aber sicher erwürgt wird, nicht die langfristige Sicherung der Renten in einer überalterten Gesellschaft und so weiter. Ob ein Wähler zu den Grünen oder zur AfD abwandert, hängt davon ab, ob diese Person mehr Angst vor den Folgen der Migration hat oder mehr Angst vor einer Klimakatastrophe. Beide Wählergruppen sind sich in einem einig, in dem Gefühl, dass sie von CDU und SPD nicht viel Kreativität zu erwarten haben. Die strahlen einen Mangel an Tatkraft aus, der allmählich auch schon beängstigend ist.
So lange man die Probleme nicht anpackt, die von den Wählern zu Recht für relevant gehalten werden, verliert man halt eine Wahl nach der anderen. Und daran ändern mittelfristig auch sogenannte Skandale der Konkurrenz nicht viel. Natürlich gibt es immer Konflikte und Wutgeheul, wenn sich etwas ändert – egal was. Man tritt ja immer jemandem auf die Füße, egal was man tut (oder schreibt, sage ich als Autor). Die einen schreien laut. Die anderen zeigen mit dem Stimmzettel, was sie denken.
Gegen Sebastian Kurz kann man sagen, was man will, schwächlich oder leichtfertig ist er nicht. Wer nichts riskiert, der macht auch keinen Gewinn. In dieser Hinsicht ähneln sich die Politik und das Wirtschaftsleben. Die Österreicher hatten große Koalitionen offenbar gründlich satt. Hätte Kurz sich einer Koalition mit der FPÖ verweigert, dann hätte er der FPÖ Wähler zugetrieben. In einer Koalition aber hatte die FPÖ, wie ich es sehe, nur zwei Optionen: sich zu mäßigen und gute Arbeit zu leisten oder an sich selbst zu scheitern. Ich erinnere mich gut an ein deutsches Fernsehinterview, in dem der österreichische Kanzler wie eine Mischung aus dummem Schulbub und Austrofaschist behandelt wurde. Und jetzt? Er hat die Koalition riskiert, er hat den Bruch riskiert, er ist nicht mehr Kanzler, aber bei den Neuwahlen hat er, wie es aussieht, die Trümpfe in seiner Hand. Wer keine bewegungsarme große Koalition will, der ist geradezu gezwungen, den Schulbub zu wählen oder sich mit ihm zu verpartnern.
In Österreich wird Politik gemacht, in Deutschland sitzen die schlecht gelaunten Rezensenten. Selber aber haben sie seit längerer Zeit keine gelungene Inszenierung mehr hingekriegt.
Herzlich grüßt
Harald Martenstein
Harald Martenstein ist ein deutscher Star-Journalist. Er ist u.a. Redakteur des „Tagesspiegels“ und Kolumnist der „Zeit“. Von Jänner bis Dezember 2019 schreibt er für die Agenda Austria die monatliche Kolumne „Martensteins Österreich“.
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