Der Gastanz wird uns nicht über den Winter bringen
- 05.07.2022
- Lesezeit ca. 4 min
Staat und Industrie müssen endlich gemeinsam Taten setzen.
Im Energieministerium dürfte man dieser Tage fleißig die Tanzschuhe polieren. So wie die Götter einst mit Regentänzen gnädig gestimmt werden sollten, auf dass sie ausreichend kühlendes Nass schicken, scheint man dort nun auf eine Art Gastanz zu setzen. So scheint unsere letzte Hoffnung auszusehen, unbeschadet über den nächsten Winter zu kommen.
Die Auftritte von Bundesministerin Leonore Gewessler in den letzten Wochen waren schon etwas beunruhigend. Warum Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren konnte und Österreich nicht? Nun ja, Deutschland sei eben ganz anders aufgestellt. Aber man arbeite hart und stimme sich intensiv ab. Auch mit Parteifreund Robert Habeck, der in Berlin eine gute Figur macht und in dessen Glanz man sich gerne sonnt. Immer wieder verwies Gewessler auf den Notfallplan, dessen Details sie der interessierten Öffentlichkeit immerhin am vergangenen Wochenende – rund vier Monate nach Kriegsbeginn – präsentierte. Man sei erst in Stufe eins. Also keine Panik.
Nun ist Panik natürlich nie ein guter Ratgeber. Studien der Agenda Austria zeigen aber, dass Österreich in eine Rezession rutschen würde, falls ab Juli kein russisches Gas mehr käme. Der Notfallplan kann dagegen wenig ausrichten. Er regelt im Wesentlichen, wer wen anzurufen hat, wenn im europäischen Gasnetz etwas schiefläuft. Wo aber Gas herkommt, wenn der fast einzige Lieferant den Hahn zudreht, steht da nicht. Der Notfallplan bedeutet nur Mangelverwaltung. Der Bundeskanzler verwies vor einigen Wochen auf geheime Zusatzpläne. Diese gibt es hoffentlich, aber was kann denn so geheim sein, dass man es der Bevölkerung nicht zumuten kann?
Aber wir wollen fair bleiben. Die Ministerin hat ja recht, dass die österreichische Ausgangslage – auch aufgrund von früheren Versäumnissen, für die sie nun wirklich nichts kann – schwierig ist. Und ein paar Maßnahmen wurden ja durchaus gesetzt.
Nur leider wirken viele dieser Aktivitäten ziemlich hilflos. Das Anlegen einer strategischen Gasreserve hätte funktioniert, als das Gas noch ungebremst strömte. Bei der Suche nach neuen Lieferanten – darauf weist Walter Boltz, der ehemalige Leiter der E-Control, schon seit Wochen hin – ist Österreich aber zu spät dran und hat nur noch die vage Hoffnung, dass die EU aushilft. Zwar füllen sich die Speicher jetzt im Sommer wieder langsam. Es dürfte sich aber weiterhin zu einem großen Teil um russisches Gas handeln, dessen Lieferung jederzeit ganz gestoppt werden könnte.
Bleibt noch das Gasdiversifizierungsgesetz. Lieferanten und Unternehmen sollen Geld bekommen, wenn sie in der Lage sind, nichtrussisches Gas zu organisieren und zu verwenden. Finanzielle Anreize soll es auch für Unternehmen geben, die ihre Anlagen auf andere Energieträger umrüsten. Es ist leicht, diesen Gesetzesentwurf zu kritisieren: Woher das „nichtrussische“ Gas kurzfristig kommen könnte, ist noch immer nicht geklärt. Auch die vorgesehenen 100 Millionen Euro pro Jahr sind ein geradezu klägliches Sümmchen, wenn man bedenkt, welche Milliardenbeträge derzeit wahllos unters Volk gebracht werden.
Dennoch enthält der Entwurf interessante Elemente. Der Staat spielt nämlich völlig zu Recht einen Teil der Verantwortung zurück an die Industrie. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, wenn Unternehmer jetzt von der Politik schadlos gehalten werden wollen. Wer in normalen Zeiten staatliche Eingriffe empört ablehnt und für planwirtschaftliche Umtriebe hält, kann in der Krise nicht plötzlich eine Art Fünfjahresplan fordern. Bei den aktuellen Gaspreisen müsste man sich eigentlich fragen, wozu Unternehmer überhaupt noch zusätzliche Anreize brauchen, um mit dem Gasentzug zu beginnen.
Natürlich kann Gas nicht überall ersetzt werden. Und selbst dort, wo es geht, sind die technischen Alternativen oft viel ineffizienter. Aber es braucht eine Symbiose aus einer eigenverantwortlichen Industrie, die Preissignale ernst nimmt und selbst in ihre Unabhängigkeit von russischem Gas investiert, und einem Energieministerium, das klar kommuniziert und sich rechtzeitig um Versorgungssicherheit bemüht.
Es ist immerhin zu begrüßen, dass die Ministerin am Wochenende den weiteren Notfallfahrplan genauer skizzierte. Sinnvoll ist dabei jedenfalls das geplante Handelssystem FlexMOL, über das Unternehmen freiwillig und gegen Bezahlung ihr nicht mehr benötigtes Gas anbieten können. Das Konzept erinnert stark an den Emissionshandel und setzt marktwirtschaftliche Anreize, schnell und effizient Gas einzusparen. Es wäre gut, diesem Mechanismus schon jetzt möglichst viel Raum zu geben, bevor im Herbst der Staat einschreiten muss, um das knappe Gas selbst zu verteilen. Die staatliche Zuteilung wäre nämlich der Kernbestandteil der dritten und letzten Stufe des Notfallplans.
Ein Notfallplan ist gut und schön. Aber muss man deshalb sehenden Auges auf den Notfall zulaufen? Voestalpine hat sich selbst LNG aus Italien gesichert. Unter dem Weinviertel – so munkelt man – schlummert Gas für viele Jahre. Das Prinzip Hoffnung bringt uns jedenfalls nicht über den Winter. Kein Regentanz hat je Regen gebracht.
Gastkommentar von Jan Kluge in der “Kleine Zeitung” (05.07.2022).
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