Außenhandel

Das Märchen von der Alm-Avocado

Die Covidkrise habe die Schwächen der Globalisierung aufgezeigt, sagen Kritiker. Aber hilft uns eine lokalere Produktion wirklich?

Rechte Populisten und linke Aktivisten sind sich in einer Sache vollkommen einig: Die Globalisierung ist Teufelszeug. Die muss weg. Besser, wir ziehen Grenzen und Zölle hoch, produzieren vor der Haustür und kümmern uns nur noch um uns, sagen sie. Corona habe das auch bewiesen. Aber stimmt das so? Nein. Die Populisten und Aktivisten erzählen Märchen – und richten mit ihrem Hass auf freien Handel Schaden an.

Wir sind weit abhängiger vom globalen Geschehen als die vermeintlichen Exportweltmeister China oder Deutschland.

Österreich ist international bestens vernetzt. Mit einer Exportquote von über 50 Prozent des Bruttoinlandprodukts sind wir weit abhängiger vom globalen Geschehen als die vermeintlichen Exportweltmeister China, Deutschland oder Japan. Österreichs Unternehmen wussten die enormen Chancen auch zu nutzen, die ihnen der globale Markt bietet. So konnten sich in diesem kleinen Land große Weltmarktführer etablieren. Dank der Integration in die Weltmärkte war es Österreich möglich, die Wirtschaftsleistung zu steigern und zu den wohlhabendsten Ländern der Welt aufzusteigen. Das ist eine Leistung der Unternehmer, nicht der Politik. Die legt der Wirtschaft eher Stolpersteine in den Weg, statt ihn zu ebnen.

Und auch wenn wir Österreicher enorm von der Globalisierung profitieren, lieb gewonnen haben wir sie nie. Wir nutzen zwar gern amerikanische Software oder in Asien produzierte Elektrogeräte, aber am liebsten hätte man doch die Avocado von der Alm, das Smartphone aus der Steiermark und das Tablet aus Tirol. Das würde auch Arbeitsplätze und Qualität der Produkte sichern, behaupten viele. Freihandel mit Japan? Schlecht! Austausch mit Südamerika? Noch schlechter! Handelsbeziehungen mit den USA? Ganz schlecht!

Vor rund 100 Jahren brachte der Wirtschaftsnationalismus statt dem Aufschwung die politischen Spannungen und Konflikte.

Es ist eine Idee, die Europa schon vor rund 100 Jahren ruinierte. So wurden im Zuge der Weltwirtschaftskrise ebenfalls Handelsbeziehungen reduziert, Kapitalverkehrskontrollen und Importquoten eingeführt. Dieser Wirtschaftsnationalismus nahm aber kein gutes Ende. Statt wirtschaftlich zu florieren, bremsten die Maßnahmen den Aufschwung und steigerten die politischen Spannungen und Konflikte. Es dauerte rund 70 Jahre, bis diese politischen Fehler weitgehend bereinigt waren und die Welt wieder auf dem gleichen Globalisierungsniveau war wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wollen wir das noch einmal durchmachen, nur weil einige aus der Geschichte nicht lernen können?

Lieb gewonnen war sie nie

Aktuell ist es modern, kürzere Lieferketten zu fordern. Eine lokalere Produktion zu erzwingen, macht unsere Wirtschaft aber nicht widerstandsfähiger, sondern anfälliger für Krisen. Das bedroht unseren Wohlstand. Auch das Klima können wir hinter verschlossenen Grenzen nicht retten. Eine effektive Bekämpfung des Schadstoffausstoßes braucht internationale Kooperation, Austausch von Ideen und Technologien und eine ressourcenschonende Produktion. Dies lässt sich nur dann erreichen, wenn jedes Land auf dem Weltmarkt seine Stärken einbringt, statt sich nur auf sich zu konzentrieren.

Wollen wir die Zukunft mitgestalten, kann die Antwort nur mehr Globalisierung und weniger Nationalismus sein.

Besonders erschreckend: Auch die EU zeigt sich zunehmend handlungsunfähig. Verhandlungen zu Freihandelsabkommen werden zur ideologischen Farce. Mit den Briten verabschiedet sich die zweitgrößte Wirtschaftsnation. Zum westlichen Verbündeten USA herrscht Funkstille. In dieses Vakuum drängen asiatische Länder, allen voran China, vor. Vor wenigen Wochen entstand dort die größte Freihandelszone der Welt. Das Wachstum und zunehmend auch technologischer Fortschritt finden weit abseits Österreichs und der EU statt. Wenn wir uns jetzt abschotten, besiegeln wir unser Schicksal. Wollen wir die Zukunft mitgestalten, kann die Antwort nur mehr Globalisierung und weniger Nationalismus sein.

Gastkommentar von Hanno Lorenz in der „Presse“ (20.12.2020)

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