Die Bundesregierung sollte bei der nächsten Steuerreform die hohe Kluft zwischen Nettolöhnen und Arbeitskosten im Auge haben.
Wer in Österreich die Steuern senken will, hat es nicht leicht. Das ist eigenartig, denn in so gut wie allen erwachsenen Rechtsstaaten ist es genau umgekehrt. Dort haben Politiker schlagende Argumente vorzubringen, wollen sie der Bevölkerung mehr Geld abknöpfen. Hierzulande müssen Volksvertreter mit triftigen Gründen auffahren, wenn sie die Steuerlast zu lindern gedenken. Weil jede geplante Steuersenkung als potenzieller Angriff auf den umverteilenden Wohlfahrtsstaat verstanden wird. Das ist auch nicht ganz unverständlich, eine deutliche Mehrheit der heimischen Haushalte entnimmt den Staatskassen mehr Geld, als sie einzahlt.
Deshalb wird jede geplante Steuerreform auch reflexartig von der Frage begleitet, wie denn das Ganze gegenfinanziert werden soll. Gemeint ist, wie das drohende Einnahmenloch möglichst geräuschlos zu stopfen wäre. Also welche Steuern im Gegenzug eingeführt oder erhöht werden könnten. Nicht, weil der Staat wegen sinkender Einnahmen Gefahr liefe, ein Budgetdefizit zu erzielen. Das kratzt hierzulande schon lange niemanden mehr, der Bundeshaushalt ist seit 1954 im Minus, ohne dass eine Bundesregierung dafür abgewählt worden wäre. Nein, die zentrale Sorge vieler Menschen ist, dass der Staat weniger Geld für sie übrig haben könnte. Der Umverteilungsmechanismus ist in unserer DNA bereits so tief verankert, dass wir uns vom Staat widerstandslos Geld aus der einen Tasche ziehen lassen, um uns beim selben Staat dann auch noch artig dafür zu bedanken, wenn er uns einen kleinen Teil des vorher Abgenommenen in die andere Tasche steckt.
Viel besser wäre es, den Bürgern mehr von dem selbst Erwirtschafteten zu überlassen. Besser auch für jene, die auf die Unterstützung der Solidargemeinschaft angewiesen sind. Denn Österreich ist laut EU-Kommission eines der wenigen Länder, die mit einer niedrigeren Belastung des Faktors Arbeit nicht auf Steuereinnahmen verzichten müssten. Warum das so ist, zeigt ein einfaches Beispiel. Will eine Durchschnittsverdienerin für 600 Euro ausmalen lassen, muss sie knapp 1100 Euro erwirtschaften, um nach Abzug aller Steuern die Rechnung zahlen zu können. Dem Maler bleiben von den 600 Euro netto 260 Euro, während bei der ganzen Transaktion 840 Euro über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge an die staatlichen Kassen gehen. Das kommt einem prohibitiven innerösterreichischen Zoll gleich, der dazu führt, dass die Arbeit entweder selbst oder im Schatten von Finanz und Sozialversicherung erledigt wird.
Reverstaatlicht wird auch die unter Schüssel ausgelagerte Betreuung von Asylwerbern. Begründung: Der Staat wolle nicht mehr länger dabei zusehen, wie private Organisationen und gewinnorientierte Unternehmen an der Betreuung von Flüchtlingen verdienen. Aber wäre eine staatliche Behörde mit der Krisensituation im Sommer 2015 besser fertig geworden als etwa der auf Flüchtlingsbetreuung spezialisierte Anbieter ORS aus der Schweiz? Falls ja: Hätte der Staat die kurzfristig benötigten Mitarbeiter nach abgeebbter Flüchtlingswelle auch wieder abbauen können? Wohl kaum, sie wären im Staatsdienst geblieben. Womit der begründete Verdacht besteht, dass die staatliche Betreuung von Asylwerbern teurer kommen wird als die ausgelagerte.
Nun ist eine hohe Belastung des Faktors Arbeit keine österreichische Erfindung. Aber nur vier Länder greifen stärker zu als Österreich. Gemessen an den Arbeitskosten haben wir also die fünftniedrigsten Nettolöhne der EU. Das ist im Kampf um qualifizierte Mitarbeiter ein entscheidender Wettbewerbsnachteil. Insbesondere ausländische Fachkräfte schauen sich genau an, was ihnen von ihrer Arbeitsleistung netto bleibt. Das ist für Betriebe auch das deutlich drängendere Problem als die vergleichsweise hohe Körperschaftsteuer. Womit die Stoßrichtung der nächsten Reform auch aus Sicht der Unternehmen klar sein sollte: Den Bürgern muss mehr Netto von den hohen Arbeitskosten bleiben. Der Steuerkeil muss kleiner werden – und zwar deutlich.
Das umso mehr, als die österreichische Volkswirtschaft auf jene Menschen angewiesen sein wird, die mehr leisten, als von ihnen erwartet wird. Weil die finanziellen Anforderungen an die sozialen Sicherungssysteme aufgrund der älter werdenden Bevölkerung rasant steigen werden. Diese Lücke ist nur über eine deutlich höhere Produktivität, die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte und die Mehrarbeit bereits Beschäftigter zu schließen. Nicht die Senkung der Unternehmenssteuern ist deshalb das Gebot der Stunde, sondern leistungswilligen Menschen höhere Leistungsanreize zu bieten.
Wie aber könnte ein leistungsfreundliches Steuersystem aussehen? Zu beginnen wäre mit deutlich niedrigeren Steuersätzen. Die Eingangssteuer sollte nicht bei 25 Prozent liegen, sondern bei 10 Prozent. Und wenn Hochsteuergebiete wie Norwegen oder der Kanton Zürich mit Spitzensteuersätzen von 40 Prozent das Auslangen finden, müsste sich Österreich zumindest mit 45 Prozent begnügen können. Das würde die Bürger dieses Landes mit etwas mehr als acht Milliarden Euro entlasten.
Wie das „gegenfinanziert“ werden soll? Allein über die kalte Progression werden die Bewohner dieses Landes bis zum Ende der Legislaturperiode in etwa diese acht Milliarden Euro vorausbezahlt haben (ohne es freilich zu merken). Hinzu kommen höhere Einnahmen über Konsumsteuern, weil viele Bürger die erhöhten Einkommen gleich wieder ausgeben werden. Geht der Staat bei den Ausgaben auch noch so effizient vor wie bei den Einnahmen, sieht die Sache schon sehr gut aus. Doch genau darin dürfte das ganz große Problem liegen.
Aber wie gesagt: Wer in Österreich die Steuern senken will, hat es nicht leicht.
Kommentar von Franz Schellhorn im neuen „Profil“ (25.03.2019).
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