Innenpolitik

Blau plus türkis ist immer noch blau

Vorspann: Nicht alles im Wahlprogramm der FPÖ ist schlecht. Um die vernünftigen Ideen der Freiheitlichen vor den Vorhang zu holen und die anderen abzusägen, braucht es aber einen charakterstarken Koalitionspartner. Doch der ist leider nicht in Sicht.

Text: Nun dürfte die Schwerkraft den Rest erledigen. Aus dem Schoß einer ins Träumerische abgedrifteten SPÖ, die für keine politische Kraft im Land mehr anschlussfähig ist, könnte schon in wenigen Wochen ein Bundeskanzler namens Herbert Kickl purzeln. Ungläubig wird er in eine Republik blinzeln, die ihn nicht zu verhindern wusste, obwohl sämtliche Parteien genau das vorhatten. Und doch wird ihn nun seine türkise Amme bei jedem Schrei („Neuwahlen! Neuwahlen“) an ihren wogenden Busen drücken und sich beeilen, ihm zu geben, was immer er wünscht. Kickl und die Seinen werden wohl weitgehend unbetreut über die Republik verfügen können. Die Ja-Sager aus der Resterampe der ÖVP dürften ihnen kaum im Weg stehen.

Doch Contenance! Noch ist die Dritte Republik nicht ausgerufen, die manche schon an die Wand malen. Dass die ÖVP nun die scharfe Migrationspolitik bekommt, die sie immer gewollt aber sich selbst nie getraut hat, scheint ausgemacht. Doch es gibt auch Schnittmengen zwischen ÖVP und FPÖ, die nicht ganz unvernünftig sind. In wirtschaftspolitischer Hinsicht waren es ja eher die Freiheitlichen, die sich an das Programm der ÖVP angeschmiegt haben. Die überraschend deutliche Absage an neue Steuern, das Bekenntnis zu einer Senkung der Abgabenquote, zur Senkung der Lohnnebenkosten; ja, sogar der alte ÖVP-Fetisch der Körperschaftsteuersenkung fand Platz im blauen Wahlprogramm.

Doch unter dem liberalen Firnis schimmert immer wieder die alte, wirtschaftspolitisch eher linke FPÖ durch. Bei Benzin, Energie, Lebensmitteln, Mieten und Zinsen sind Preiseingriffe auf breiter Front vorgesehen, die mit einer ÖVP bei Bewusstsein nicht gehen sollten. Dazu kommen Bestrafungsfantasien für die Banken, die eher mit der SPÖ kompatibel wären. Am bedrohlichsten aber ist das Konzept des „Wirtschaftspatriotismus“. Ein Zitat aus dem Programm: „Betriebe in österreichischem Besitz, die in Österreich rot-weiß-rote Produkte erzeugen oder verarbeiten, sollen steuerliche Vorteile genießen.“ Ein Satz wie aus dem Burschenschaftlergesangbuch. Ausländische Investoren dürfen also damit rechnen, dass sie in Österreich bald keine fairen Wettbewerbsbedingungen mehr vorfinden. Dass das Ganze krachend europarechtswidrig sein dürfte, versteht sich von selbst, aber das kommt einer Partei, die den Öxit lieber heute als morgen vollziehen würde, vielleicht gar nicht ganz ungelegen.

Diese scharfen Kanten im Programm der FPÖ sind es, die ein Koalitionspartner abschleifen muss. Und dafür hätte es von Anfang an bessere Konstellationen gegeben. Hätte Kickl den Regierungsauftrag erhalten und damit reihum auf Granit gebissen, dann hätte die ÖVP aus einer Position der Stärke heraus den Parteichef tauschen und die Beteiligung der Neos zur Bedingung machen können. In dieser Koalition hätte die FPÖ nicht einmal eine Mehrheit gehabt. Ein überparteilicher Kanzler hätte sich dann auch durchsetzen lassen, da Kickl nach den erfolglosen Sondierungsgesprächen geschwächt gewesen wäre.

Doch ja: Hätte wäre. Nun hängt es an einer weitgehend kopflosen ÖVP. Ein beunruhigender Gedanke. Sie müsste schließlich erst einmal ihre eigene ökonomische Engstirnigkeit abstreifen. Wenn es bei den Bauern rumort, ist schon mancher türkise Bundeskanzler nach Brüssel geeilt, um Freihandelsgespräche platzen zu lassen.

Und dann wäre da noch die Sache mit dem Geld: Es ist nämlich keines da. Sollten die Koalitionäre nicht zügig sechs Milliarden Euro finden, dann werden wir in diesem Jahr das erlaubte Budgetdefizit von drei Prozent überschreiten. Das Defizitverfahren der EU wäre eine unschöne Sache, die vor allem die ÖVP gern vermeiden würde, da die FPÖ den schwarzen Peter (wahrheitsgemäß) bei ihr parken würde.

Doch Kickls Regierung selbst wäre es, die die politische Kraft für eine beispiellose Haushaltskonsolidierung aufbringen müsste. Dann wird man sehen, ob Kickl wirklich der starke Mann ist, den viele in ihm zu erkennen meinen. Wird er sich den brüllenden Traktoren entgegenstellen, wenn das österreichische Subventionsdickicht gelichtet wird? Wird er die Verwünschungen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung aushalten? Wird er Pensionistinnen und Pensionisten wie auch Beamtinnen und Beamten die Nullrunden verordnen, die wegen der vielen außertourlichen Erhöhungen ihrer Bezüge längst fällig wären? Oder ist Kickl doch nur dann stark, wenn es gegen Schwächere geht? Wenn er im sterilen Setting seines FPÖ-Studios markige Worte an seine eigenen Leute richten kann, statt als Bundeskanzler einer Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen, die ihn mehrheitlich nicht gewählt hat? Man wird sehen. Eine schwere Geburt wird es allemal.

Gastkommentar von Jan Kluge in “Der Standard” (11.01.2025)
 
 

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