Innenpolitik

Bekommt Rom eine Päpstin?

Das Regierungsprogramm von Türkis-Grün zeigt das politisch Mögliche. Und es offenbart das Fehlen des politisch Nötigen.

Während Österreichs Medienschaffende noch mit der Frage beschäftigt sind, wer bei den Koalitionsverhandlungen denn nun wen über den Tisch gezogen hat, interessieren sich viele Bürger dafür, wie sehr das türkis-grüne Projekt das tägliche Leben verändern wird. Stärker als sich das viele vorstellen können, wie nach Lektüre des Regierungsprogramms vergleichsweise schnell klar wird.

Das dicke Regierungsprogramm hat erfreuliche Passagen. Mehr Transparenz im staatlichen Bereich. Weniger Heimlichtuerei am Lohnzettel.

Nicht nur im Negativen, denn das 326 Seiten dicke Regierungsprogramm hat durchaus seine erfreulichen Passagen. Etwa wenn es darum geht, mehr Transparenz in den staatlichen Bereich zu bringen, was zweifellos den Grünen zu verdanken ist. Oder wenn der Heimlichtuerei am Lohnzettel ein Ende bereitet wird. Arbeitnehmer sehen künftig auf einen Blick, wie hoch ihr Beitrag zum Gelingen des großen Ganzen im Sozialstaat Österreich ist. Noch besser wäre es freilich, wenn die Arbeitnehmer die gesamten Arbeitskosten ausbezahlt bekämen, die sie dann selbst versteuern und an die Sozialversicherungen überweisen. Aber bevor Österreichs Politik zu diesem Schritt bereit ist, wird eine Päpstin vom Balkon des Petersdoms winken.

Keineswegs zu früh kommt der Versuch, die verheerenden Zustände an den Brennpunktschulen zu verbessern. Völlig richtig ist es hingegen, sich für die Ausarbeitung eines Ökosteuermodells die nötige Zeit zu nehmen, die Steuerlast für Arbeitnehmer aber so rasch wie möglich zu senken. Und alles spricht dafür, nachkommenden Generationen in Finanzfragen eine adäquate Allgemeinbildung angedeihen zu lassen und flankierend dazu die private Altersvorsorge steuerlich zu erleichtern. 

Denn die private Altersvorsorge werden viele jüngere Bürger noch bitter nötig haben. Mit diesem Regierungsprogramm wird ihnen nämlich einmal mehr unmissverständlich klargemacht, dass nicht sie, die Jungen, im Zentrum der politischen Bemühungen stehen. Sondern die angehenden Rentner. So findet sich auf Seite 250 des Regierungsprogramms unter dem Kapitel Pensionen folgende Aussage: „Es gibt zwar immer wieder Adaptionsbedarfe, aber wir brauchen keine grundlegende Neuausrichtung“.

Den Jungen wird einmal mehr unmissverständlich klargemacht, dass nicht sie im Zentrum der stehen. Sondern die angehenden Rentner.

Ein Satz, den wir uns merken sollten. Schließlich weiß mittlerweile jeder, dass die Gruppe der Einzahler kontinuierlich schrumpft, während die der Pensionisten rasant wächst. In den nächsten drei Jahrzehnten wird die Zahl der 20- bis 65-Jährigen um rund 200.000 schrumpfen, jene der Über-65-Jährigen um über eine Million wachsen. Dann werden 1,29 Erwerbstätige einen Pensionisten erhalten müssen. Deshalb reicht es eben nicht, „nur“ das faktische Pensionsantrittsalter an das gesetzliche heranzuführen. Denn mit längerem Arbeiten erhöhen sich auch die Pensionsansprüche, es muss also mehr ausgezahlt werden, womit das klaffende Finanzloch also nur nach hinten verschoben wird. Nötig wäre, dass die Menschen länger für dieselbe Pension arbeiten, nicht für eine höhere.

Die Alternativen dazu sind jedenfalls nicht besonders erbaulich. Entweder müssen die weniger werdenden Jungen noch höhere Beiträge bezahlen, die Alten gekürzte Renten hinnehmen oder die Staatsschulden erhöht werden, was wieder auf Kosten der Jüngeren ginge. Die für alle Beteiligten erfreulichste Lösung wäre freilich, wenn sich Österreich in der digitalisierten Welt von Morgen zum Produktivitätsmonster entwickelte. Das ist zwar möglich, aber alles andere als wahrscheinlich. Schließlich scheinen wir in einem Land zu leben, in dem die Digitalisierung von vielen für ein vorübergehendes Phänomen einer noch unreifen Internet-Generation gehalten wird. Viel realistischer ist, dass wir Pariser Zustände bekommen, wenn die Alterungssysteme nicht schleunigst an die längere Lebensdauer angepasst werden.

Während ausgerechnet diese junge Regierungsmannschaft den demographischen Wandel ignoriert, widmet sie dem Megatrend Klimawandel jede Menge Raum. Neue milliardenschwere Ausgaben für den öffentlichen Verkehr sind vereinbart, Öl und Gas sollen in privaten Haushalten keine Zukunft mehr haben, erneuerbare Energieträger rasch ausgebaut werden. So sollen eine Million Dächer mit Solaranlagen versehen, die Mineralölsteuer auf Diesel erhöht und Flüge verteuert werden. Wer das Regierungsprogramm gelesen hat, erkennt, dass die Regierung Österreich als grünes Vorzeigemodell Europas positionieren will.

Womit auf den neuen Finanzminister Gernot Blümel eine ziemlich sportliche Herausforderung wartet: Geplante Entlastungen im Ausmaß von rund sechs Milliarden Euro und Mehrausgaben im Klimabereich von mindestens zwei Milliarden Euro mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zu vereinen, ist nicht ganz ohne. Zumal auf 326 Seiten keinerlei konkrete Hinweise zu finden sind, wie denn verhindert werden soll, dass weiterhin Milliarden an Steuergeldern ungebremst in ineffizienten Staatsstrukturen verschwinden. Eine Fragestellung, der sich auch die Medienschaffenden widmen sollten. Denn sie ist für die Tragfähigkeit des österreichischen Wohlfahrtsstaates alles andere als unbedeutend.

Kolumne von Franz Schellhorn im „profil“ (12.01.2020)

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