Steuern & Abgaben

Auf Kriegsfuß mit der kalten Progression

Replik. Peter Brandner meint, die Agenda Austria habe sich verrechnet. Warum kommen dann alle Experten außer ihm zum gleichen Ergebnis?

Wie hoch ist die Belastung der Steuerzahler durch die kalte Progression? Bei der Größenordnung ist sich die Wissenschaft einig – eigentlich. Nur Peter Brandner, Mitarbeiter im Finanzministerium, sieht das anders. Vor ein paar Tagen warf er in dieser Zeitung der Agenda Austria einen „wohl dokumentierten Rechenfehler“ vor. Wir würden, so meint Brandner, die kalte und die reale Progression in einen Topf werfen und so zu deutlich höheren Summen kommen. 

Brandner widerspricht nicht nur der Agenda Austria, sondern auch allen anderen wissenschaftlichen Berechnungen inklusive jenen des eigenen Arbeitgebers.

Das ist, bei allem Respekt, Unsinn. Brandner widerspricht nicht nur der Agenda Austria, sondern auch allen anderen wissenschaftlichen Berechnungen inklusive jenen des eigenen Arbeitgebers. Bereits bei der letzten größeren Debatte über die kalte Progression im Jahr 2015 hatte Brandner anderen Experten eine Überschätzung der Belastung vorgeworfen. Damals wurde der Budgetdienst damit beauftragt, Licht ins Zahlendunkel zu bringen. Das Resultat dieser Analyse dürfte Brandner nicht geschmeckt haben: Seine Ergebnisse ,,sind aus Sicht des Budgetdienstes deutlich zu niedrig, was insbesondere in der problematischen Bereinigung des gesamte Progressionseffektes in einen inflationsbedingten und einen durch Reallohnsteigerungen bedingten Progressionseffekt begründet ist.“

Worum geht es? Die Kalte Progression entsteht, weil die Löhne und Gehälter der Inflation angepasst werden, nicht aber die Steuertarife. Wegen der massiven Teuerungswelle dürften die heurigen Lohnverhandlungen mit deutlichen Zuwächsen für die Beschäftigten enden. Leider fließt ein hoher Anteil dieser Gehaltserhöhungen direkt an den Fiskus, weil bei der Berechnung der Steuer – vereinfacht ausgedrückt – so getan wird, als gäbe es keine Inflation. Praktisch alle Experten sind der Meinung, dass dieses System geändert werden muss. Finanzminister Magnus Brunner hat das nun auch angekündigt und will die kalte Progression bis spätestens 2023 abschaffen. Scheitert die Abschaffung der kalten Progression, müssen die Österreicher bis ins Jahr 2025 über zehn Milliarden Euro Inflationssteuer zahlen. Andere Länder machen schon lange vor, wie sich diese unfaire Belastung verhindern lässt. So ist etwa die Regierung in Deutschland verpflichtet, die kalte Progression auszugleichen. In der Schweiz steht eine jährliche Anpassung der Tarife an die Inflation in der Verfassung. In Schweden geht man sogar einen Schritt weiter und passt die Tarife der Lohnentwicklung an.

Die kalte Progression führt zu Belastungen der Steuerzahler in Milliardenhöhe.

Peter Brandner stört das offenbar. Er hält das Problem für überschätzt und fand auch nicht die Zeit, sich intensiv mit der Analyse der Agenda Austria zu beschäftigen. Deshalb übersieht er, dass sich die von ihm zitierte Passage aus der Arbeit der Agenda Austria auf den Kompensationsmechanismus in Schweden bezieht. Dort wird die Bundesteuer der Nominallohnentwicklung angepasst – was die kalte Progression tatsächlich überkompensiert. Darauf haben wir selbstverständlich hingewiesen; in Schweden ist dieser Effekt auch genauso gewünscht. Für die Berechnung der kalten Progression wird hingegen die Inflationsentwicklung zugrunde gelegt, weswegen sich die Ergebnisse der Agenda Austria (rund 300 Mio. Euro je Prozentpunkt Inflation) auch in der Größenordnung nicht von den anderen Berechnungen wie beispielsweise dem IHS (320 Mio. Euro je Prozentpunkt) unterscheiden. 

Die kalte Progression führt zu Belastungen der Steuerzahler in Milliardenhöhe. Das sollte auch Peter Brandner irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen.

Gastkommentar von Denés Kucsera für die “Presse” (02.06.2022).

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