Leonore Gewessler kümmert sich lieber um die Rechte der Radfahrer als um die Energieversorgung. Das ist sträflicher Leichtsinn.
Am Freitag vergangener Woche präsentierte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler neue Regeln für den Straßenverkehr. Und da tut sich einiges: Radfahren gegen die Einbahn wird künftig automatisch erlaubt sein, wenn die Straße mindestens vier Meter breit ist und die Geschwindigkeit maximal 30 km/h beträgt. Zudem darf künftig auch nebeneinander geradelt und bei roter Ampel rechts abgebogen werden. Das ist schön. Außerdem werden Autofahrer einen größeren Mindestabstand einhalten müssen, wenn sie einen Radfahrer überholen. Fußgänger wiederum müssen nicht mehr hudeln, wenn sie über die Straße wollen, die Ampeln werden so geschalten sein, dass auch langsame Spaziergänger ausreichend Zeit haben.
Die Sicherheit im Straßenverkehr ist ein wichtiges Thema, das nicht bagatellisiert werden sollte. Für schlaflose Nächte sorgt in vielen Haushalten dieser Tage aber weniger die Frage, ob Radfahrer künftig gegen jede Einbahn fahren dürfen. Sondern die Sorge, wie die Menschen über den kommenden Winter hinaus ihre Wohnungen heizen und ob sie noch einen Job haben werden, wenn Russland den Gashahn abdreht. Nachdem mit Polen und Bulgarien bereits zwei EU-Staaten von diesem Schicksal ereilt wurden, ist das kein unrealistisches Szenario mehr.
Wie sich Österreich auf diesen Fall vorbereitet? Nichts Genaues weiß man. Während die neue Straßenverkehrsordnung von Klimaschutzministerin Gewessler bis ins kleinste Detail ausgearbeitet wurde, ist die Strategie der Energieministerin Gewessler in Sachen Gasversorgung schnell erklärt: Putin wird schon weiter liefern! Und wenn nicht, dann wird eben die halbe Industrie abgeschaltet, um das Gas zu den Haushalten umleiten zu können.
Ganz anders ist die Lage in Deutschland. Die Reden des grünen Wirtschafts- und Energieministers Robert Habeck werden unter politischen Beobachtern begeistert herumgereicht. Der „Spiegel“ ging so weit, ihn zum „Kriegswirtschaftsminister“ zu erheben. Deutschland muss von russischem Erdgas unabhängig werden? Klar. Aber bis es so weit ist, werden die Laufzeiten der bereits zur Ausmusterung nominierten Kohlekraftwerke verlängert. Russland könnte den Gashahn abdrehen? Das wäre schmerzhaft, aber immerhin hat Deutschland die Abhängigkeit von russischem Gas seit Kriegsbeginn von über 50 auf 35 Prozent reduziert, indem verstärkt in den Niederlanden und Norwegen eingekauft wurde.
Wer hätte vor wenigen Monaten gedacht, dass in einer schweren Energiekrise ausgerechnet ein grüner Minister zum Mann der Stunde aufsteigen würde? Habeck vermittelt den Eindruck, rund um die Uhr dafür zu arbeiten, die Energieversorgung Deutschlands sicherzustellen. Und das ohne ideologische Scheuklappen. Seine Aussagen sind Musterbeispiele an professioneller politischer Kommunikation, Realismus und Überzeugungskraft. Habeck wirkt derzeit wie der eigentliche Kanzler. Davon ist Leonore Gewessler mindestens eine Fahrrad-Tagesetappe weit entfernt. Sie vermittelt den Eindruck, dass ihr die Sicherstellung der Erdgasversorgung höchst unangenehm ist. Außer sich wiederholende Worthülsen vom Ausbau der Erneuerbaren und unrealistischen Einsparplänen kommt nicht viel. Dabei wäre es allerhöchste Eisenbahn, sich mit dem vor der Türe stehenden „Worst Case“ auseinanderzusetzen, Pläne zu entwerfen und die Wirtschaft in diese Planungen einzubinden. Mit Wehklagen über die leider zu große Abhängigkeit von russischem Gas heizt man keine Wohnung und hält auch keinen Betrieb am Laufen.
Die medial-politische Arena wittert bereits eine Verschwörung gegen die beliebte Energieministerin. Sie werde gezielt kritisiert, weil sie in das Visier des politischen Gegners geraten sei. Mag sein. Aber selbst wenn das stimmt, wird die Gasversorgung damit um keine Kilowattstunde sicherer. Während sich Deutschland intensiv um neue Gaslieferanten kümmert, war in Österreich noch nichts über den Abschluss von Bezugsverträgen mit alternativen Lieferländern zu hören. Stattdessen lässt Leonore Gewessler verlauten, dass russisches Erdgas ohne Einschränkungen fließe. Das stimmt. Unerwähnt bleibt aber, dass seit einigen Wochen deutlich weniger Erdgas in Österreich ankommt. Das liegt (noch) nicht an Russland, sondern an den hohen Gaspreisen. Viele Großverbraucher zögern, weil sie fürchten, dass die von ihnen angelegten Reserven im Zuge einer drohenden Rationierung vom Staat beschlagnahmt werden, um damit die privaten Haushalte zu wärmen.
In der Regierung kommt offensichtlich niemand auf die Idee, so viel Erdgas wie möglich aufzukaufen und für den Notfall zu speichern. Andere Länder tun das längst. Die Ansprüche der Bevölkerung sind alles andere als unverschämt. Die Menschen wollen in einer warmen Wohnung leben, frühmorgens oder nach dem Sport heiß duschen, am Abend den elektrischen Herd anwerfen und vor dem Einschlafen noch Fernsehen oder ein wenig lesen, und zwar nicht bei Kerzenlicht. Am Morgen danach hätten die Leute auch gerne noch einen Job. Zum Arbeitsplatz radeln sie dann gerne gegen die Einbahn, wenn es sein muss.
Kolumne von Franz Schellhorn für “profil” (08.05.2022).
In ganz Europa sind die Energiepreise in den letzten Jahren nach oben geschossen. Die Regierungen haben mit umfangreichen Hilfspaketen für Haushalte und Unternehmen reagiert. Auch hierzulande. Dennoch fiel der Preisanstieg für die heimische Wirtschaft drastisch aus, wie eine Auswertung der Agenda Austria zeigt. Aus nicht einmal 10 Cents je Kilowa
Etwas höher als im Euroraum war die Inflation in Österreich schon lange. Und gehörigen Anteil daran hatte in der Tat der Tourismussektor.
Der Gasimport aus Russland ist in Österreich beträchtlich, obwohl der Gesamtverbrauch von Gas rückläufig ist.
Aufgrund der Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas stiegen auch die Energiepreise bei uns stärker als in anderen Ländern.
Die heimischen Treibhausgasemissionen sind im letzten Jahr gesunken. Was eigentlich eine gute Nachricht sein könnte, lässt Zweifel am Selbstbild der österreichischen Klimapolitik aufkommen.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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