Innenpolitik

Als ob noch immer Krise wäre

Die aktuellen Budgetzahlen sind haarsträubend. Wir brauchen mehr als nur ein Sparpaket.

Ein leichtes Schmunzeln musste schon erlaubt sein, als Bundesfinanzminister Magnus Brunner vergangenes Jahr seinen Strategiebericht bis 2027 präsentierte. Ein Land, das sich zu den „Sparsamen Vier“ zählt, kann ja schlecht einen blauen Brief aus Brüssel riskieren. Voll Optimismus meldete er daher Defizite von 2,7 bis 2,8 Prozent pro Jahr an. Unambitioniert, auf den ersten Blick aber legal. Auf den zweiten vielleicht nicht, weil das strukturelle Defizit trotzdem zu hoch ist, aber lassen wir das. Im Zweifel wären sogar noch ein paar Wahlzuckerln möglich gewesen, hätte man die erlaubte Maastricht-Grenze von 3,0 Prozent maximal ausschöpfen wollen. Was sollte schon schiefgehen?

Ein Jahr später wissen wir: nichts. Und trotzdem sind die Defizite höher als geplant. Das Geld rinnt dem Finanzminister nur so durch die Finger, als ob immer noch Krise wäre. Der Fiskalrat erwartet für dieses Jahr ein Defizit von 3,4 Prozent. Darauf hatte er schon im April hingewiesen. Im Finanzministerium gab man sich überrascht und verwies auf eigene, bessere Zahlen. Inzwischen ist aber das erste Halbjahr in den Büchern und lässt nichts Gutes erwarten. Wer bis 30. Juni schon Schulden gemacht hat, als wäre schon der 27. August, der darf sich über pessimistische Prognosen nicht wundern. Ohne Gegenmaßnahmen scheint eine echte Rückkehr unter die Drei-Prozent-Marke bis zum Ende des Jahrzehnts fast ausgeschlossen.

Nehammer hat schon recht: Ein Sparpaket brauchen wir nicht. Was wir brauchen, ist eine Ausgabenbremse nach schwedischem Vorbild.

Weil in guten Jahren mit Wachstum und niedrigen Zinsen nicht gespart wurde, werden österreichische Finanzminister auf absehbare Zeit auf der fiskalischen Rasierklinge der Drei-Prozent-Grenze reiten müssen. Ohne Sattel. Doch Kanzler Nehammer ist derweil die Ruhe selbst. Ein Sparpaket brauche man keineswegs. Er habe dazu eine „gegenteilige Auffassung“: Das Wirtschaftswachstum soll es richten. Wenn die Betriebe erst wieder florieren und die Reallöhne steigen, dann kassiert der Staat kräftig, und schon stimmt das Budget wieder.

Man kann nur staunen. Eine Partei, die nicht einmal die Ausgabenseite im Griff hat, gibt sich der Illusion hin, die viel schwieriger zu steuernde Einnahmenseite beherrschen zu können. Subventionen zu streichen oder eine Pensionsreform anzugehen: Das wären souveräne Ausgabenentscheidungen einer Regierungskoalition. Wie sich das Steueraufkommen entwickelt: Darauf hat sie viel weniger Einfluss. Einen Haushalt über die Einnahmenseite sanieren zu wollen ist ohnehin wirtschaftspolitisches Harakiri. Die Fachliteratur ist sich ziemlich einig, dass öffentliche Budgets ausgabenseitig konsolidiert gehören, da ein Abbau des Defizits über die Einnahmen mit einer zusätzlichen Belastung der Wirtschaft einhergeht und daher das Wachstum stärker hemmt als öffentliche Ausgabenkürzungen.

Aber Nehammer hat schon recht: Ein Sparpaket brauchen wir nicht. Wir brauchen zwei oder drei. Oder noch besser: Das größte Sparpaket aller Zeiten! Es muss aber anders aussehen als üblich. Das herkömmliche Instrumentarium reicht nicht aus. Der gute alte Rotstift, der heute hier etwas durchstreicht, aber schon morgen dort wieder etwas dazuschreibt, hat ausgedient. Auch die Kettensäge, der sich manche Politiker in Übersee bedienen, ist (noch) nicht das Mittel der Wahl. Was wir brauchen, ist eine Ausgabenbremse nach schwedischem Vorbild. Sie ist das Seil, mit dem sich künftige Regierungen an den Mast binden müssen, während die betörenden Sirenen singen: Hilfspaket! Hilfspaket! Gib! Gib!

Gastkommentar von Hanno Lorenz, Jan Kluge in der “Presse” (08.08.2024)

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