Die einstige Kanzlerpartei feierte vergangene Woche ihren 130. Geburtstag. Dazu ein paar persönliche Gedanken von jemandem, der die Partei noch nie gewählt hat.
Bevor ich zum „Aber“ komme, gratuliere ich der SPÖ einmal ganz herzlich zu ihrem 130-jährigen Jubiläum. Die Partei hat dieses Land geprägt wie kaum eine andere, sie hat viel für eine erhöhte Chancengleichheit der Bevölkerung getan, für bessere Arbeitsbedingungen gesorgt, die soziale Absicherung breiter Schichten vorangetrieben, das Land modernisiert und geöffnet, nicht nur gesellschaftspolitisch. Ohne die Partei jemals gewählt zu haben, habe ich Sympathien für sie. Das beruht nicht auf Gegenseitigkeit, was vor allem daran liegen dürfte, dass Sozialdemokraten in mir das sehen, was sie aus tiefstem Herzen verachten: einen dieser kaltherzigen Wirtschaftsliberalen, die für die Schwachen in diesem Land nichts übrig haben, sondern nur die Starken noch stärker machen wollen.
Ich halte das für ein Missverständnis, zumal ich zwei fundamentale Ziele der Sozialdemokraten uneingeschränkt teile: Jeder Mensch sollte ungeachtet seiner sozialen Herkunft bestmögliche Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben vorfinden. Und die Starken haben all jene mit nach oben zu nehmen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen.
Letzteres kann nur gelingen, wenn jene Bürger in der deutlichen Mehrheit sind, die mehr Geld in die Gemeinschaftskassa einzahlen als sie dieser entnehmen. Erfolgreiche Sozialpolitik lässt sich daran ablesen, dass Bedürftigen der Aufstieg gelingt, dass aus Nettoempfängern Nettozahler werden. Das ist die Visitenkarte eines funktionierenden Wohlfahrtsstaates. Das setzt Leistungsfähigkeit und Leistungswillen der Bürger voraus, das eine ist ohne das andere nichts. Wer wüsste das besser als die SPÖ, deren Gründungsväter vom ersten Tage an für eine durchlässige Gesellschaft gekämpft haben?
„Leistung, Aufstieg, Sicherheit!“ hieß denn auch der Slogan der Partei in den für sie so glorreichen 1970er-Jahren. Das könnte man auch heute auf der Stelle unterschreiben – es sei denn, man ist Funktionär der SPÖ. Dort wird der Begriff der Leistung heute nämlich ganz anders gesehen als vor 50 Jahren. War sie früher der Stolz einer schwer schuftenden Arbeiterschaft, ist sie heute vielen Genossen ein großes Übel. Sie beschreibt die alles dominierende „Leistungsgesellschaft“, eine Welt voller fremdgesteuerter Wesen, die von „den Märkten“ zum permanenten Konsum genötigt würden. Paradoxerweise sind es die Vertreter der SPÖ und ihr nahestehende Ökonomen, die bei jeder Gelegenheit die Stärkung der Kaufkraft der Bürger einfordern, damit diese endlich mehr konsumieren können, um so die Wirtschaft anzukurbeln. Eine widersprüchliche Kreislaufwirtschaft, aus der es kein Entkommen gibt.
Schwer tut sich die Partei nicht nur mit der Leistung anderer, sondern auch mit der eigenen. Seit Jahren erklären führende SPÖ-Politiker, wie schlimm die Lage in diesem Land geworden sei. Die Armen würden immer ärmer, weshalb endlich umzuverteilen sei. Dabei werden jährlich über 100 Milliarden Euro zur sozialen Absicherung eingesetzt. Und viel von dem Geld kommt auch an: In kaum einem anderen Land der Welt sind die Einkommen nach Steuern und Transfers so gleichmäßig verteilt, ist der Wohlstand so breit und die Zahl der manifest Armen so niedrig wie in Österreich.
Das ist auch ein Erfolg des von Sozialdemokraten konzipierten Wohlfahrtsstaates – und was macht die SPÖ daraus? Statt zu sagen „Seht her, nicht einmal die jüngste Wirtschaftskrise konnte die Ungleichheit in Österreich verschärfen, weil der von uns propagierte Sozialstaat so erfolgreich interveniert!“, beschwört die Partei die Erzählung eines zerrütteten Landes, in dem der soziale Ellbogen regiert.
Während die Leistung zum Kampfbegriff wurde, hat die Partei das Ziel des Aufstiegs weitgehend abgeschrieben. Andernfalls würde sie es nicht achselzuckend hinnehmen, dass dieser für viele Menschen bereits im Kindesalter endet. Während Parteifunktionäre ihren Nachwuchs in Privatschulen schicken, herrschen in öffentlichen Schulen zum Teil bedrückende Zustände. Nicht in allen, aber in vielen. Die sich dem linken Rand der SPÖ zurechnende Susanne Wiesinger hat das in ihrem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ beschrieben. Demnach fehlten vielen Schülern in großen Wiener Bezirken die nötigen Deutschkenntnisse, die Leistungen seien auf Sonderschulniveau gesunken, die Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben ist gering. 130 Jahre nach Gründung der SPÖ ist es für viele Kinder also wieder entscheidend, in welchem Bezirk sie zur Welt kommen. Und was macht die SPÖ daraus? Statt etwas dagegen zu unternehmen, wirft sie der Lehrerin vor, das Geschäft „der Rechten“ zu erledigen.
Sicher ist, dass die SPÖ von der Reformbewegung zur Fürsprecherin der Stillstandsbewahrer in den eigenen Reihen geworden ist. Das ist nicht gut. Weder für die Partei noch für das Land. Aber wer weiß, vielleicht ist ein runder Geburtstag ja ein guter Anlass, sich an besseren Zeiten zu orientieren.
Übrigens: Wie wäre es mit „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“?
Kommentar von Franz Schellhorn im „Profil“, 12.01.2019
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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