Österreich, das Land der versteckten Arbeitslosigkeit
- 26.09.2013
- Lesezeit ca. 3 min
Legt man die versteckte Arbeitslosigkeit offen, zeigt sich, dass Österreichs Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich zwar noch immer gut abschneidet. Allerdings führt Österreich die Statistik nicht mehr an, sondern landet im EU-Ranking „nur“ noch auf Platz vier.
Während Hunderttausende Europäer im Zuge der tobenden Wirtschaftskrise ihren Job verloren haben, ist der österreichische Arbeitsmarkt auffallend robust. Die offizielle Arbeitslosenrate ist die niedrigste in der EU, was hierzulande auch gerne als Erfolg der aktiven Arbeitsmarktpolitik gefeiert wird. Die wahren Hintergründe des österreichischen Arbeitsmarktwunders bleiben meist unerwähnt. Dabei hätte gerade Österreich allen Grund zu mehr Transparenz.
Die offizielle Statistik
Die offiziellen Arbeitsmarktstatistiken zeigen ein höchst widersprüchliches Bild. So lag die Arbeitslosenrate in Österreich laut nationaler Berechnung im vergangenen Jahr bei 7,0 Prozent, laut EU-Definition aber nur bei 4,3 Prozent (2012). Für ein und dasselbe Land, in ein und demselben Zeitraum. Das ist übrigens kein österreichisches Phänomen, sondern ein europäisches. Eines haben die beiden Berechnungsmethoden aber gemeinsam: Sie zählen viele Menschen nicht als arbeitslos, obwohl sie keinen Job haben, aber in wirtschaftlich guten Zeiten Arbeit nachfragen würden. Werden zum Beispiel 10 neue Jobs geschaffen, so heißt das nicht automatisch, dass die Arbeitslosenzahl um 10 Personen (cet. par.) sinkt. Wie ist das möglich?
Unser Ansatz
Mit Hilfe eines ökonometrischen Modells wird dieser Personenkreis, der im Englischen als „hidden unemployed“ bezeichnet wird, berechnet (die Wirtschaftswissenschaft spricht von „versteckter Arbeitslosigkeit“): Man unterstellt eine Hochkonjunktur und misst, wie viele nicht in der offiziellen Arbeitslosenstatistik erfassten Menschen unter besseren wirtschaftlichen Bedingungen arbeiten. Personen mit Arbeitswunsch, die nicht aktiv nach Arbeit suchen, und jene, die aktiv nach Arbeit suchen, aber nicht sofort verfügbar sind. Die versteckte Arbeitslosigkeit erfasst unter anderem also auch Menschen, die in Schulungen sitzen und Frühpensionisten, die eigentlich arbeiten würden.
Die Ergebnisse
Legt man diese versteckte Arbeitslosigkeit offen, zeigt sich, dass Österreichs Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich zwar noch immer gut abschneidet. Allerdings führt Österreich die Statistik nicht mehr an, sondern landet im EU-Ranking „nur“ noch auf Platz vier. Weil in Deutschland, Tschechien und Großbritannien weniger Menschen aus der offiziellen Statistik fallen als in Österreich.
Die Gesamtzahl der versteckten Arbeitslosigkeit ist von knapp 100.000 im Jahr 1999 auf mittlerweile knapp 250.000 Menschen angestiegen (erstes Quartal 2013). Addiert man diese versteckte Arbeitslosenzahl und die offizielle (rund 220.000), dann erhält man im ersten Quartal des laufenden Jahres 470.000 Arbeitslose für Österreich – also eine Arbeitslosenrate von 10,32 Prozent (saisonbereinigt), statt der offiziellen 5,09 Prozent (EU-Defintion). Das bedeutet, dass in Österreich auf einen offiziellen Arbeitslosen (nach EU-Definition) 1,15 versteckte Arbeitslose kommen, während es beispielsweise in Schweden 0,43 sind.
Besonders auffallend: Österreich hat eine relativ hohe Erwerbsquote bei den Jüngeren, aber eine extrem niedrige bei den Älteren. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die versteckte Arbeitslosigkeit in Österreich in der Altersgruppe von 55 bis 64, vor allem bei Frauen, besonders hoch ist. Insgesamt liegt die versteckte Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe bei über 15 Prozent – ein Spitzenwert im internationalen Vergleich.
Nicht erhärten ließ sich die These, dass Österreich jüngere Menschen über lange Studienzeiten in der Statistik versteckt. Im Gegenteil, bei den 15- bis 24-Jährigen liegt Österreich international gesehen sehr gut.
Lösungsansätze
- Eine transparentere Darstellung des Arbeitsmarkt wäre wünschenswert – die Lage in Österreich ist trotz Bereinigung noch immer gut im EU-Vergleich.
- Zu empfehlen ist ein sukzessiver Umbau des Pensionssystems nach skandinavischem Vorbild (eine Anpassung des Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung, eine rasche Angleichung des Pensionsalters für Frauen an jenes der Männer).
- Damit ältere Menschen im erwerbsfähigen Alter nicht von der Pensions- in die Arbeitslosenstatistik wandern, ist ein Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer sowie eine höhere unternehmerische Dynamik unverzichtbar.
Hier können Sie die gesamte Studie herunterladen.
Mehr interessante Themen
Wenig Anreize für mehr Arbeit
Österreich ist eine Teilzeit-Republik. Das ist in Zeiten des Arbeitskräftemangels ein großes Problem. Und es wird vom Steuersystem indirekt gefördert, denn Mehrarbeit zahlt sich einfach nicht aus. Wer rechnen kann, stockt daher die Arbeitsstunden nicht auf. In kaum einem anderen Land bestraft das System Vollzeitarbeit so sehr, wie in Österreic
Frage an die SPÖ: Darf ein privates Unternehmen privatisiert werden?
Nachdem sich die Republik Österreich aus der maroden Vamed zurückgezogen hat, scheint die Gesundheitsversorgung in Gefahr. Eine rot-weiß-rote Groteske.
Die teuersten Jahre aller Zeiten
Bei ihrem Amtsantritt vor viereinhalb Jahren wollte Türkis-Grün noch die Bürger entlasten und keine neuen Schulden machen. Doch daraus wurde nichts. Auch diese Regierung erlag der Lust am Geldverteilen.
Das lange Leben der kalten Progression
Auch wenn der Finanzminister gerne das Gegenteil behauptet: Die kalte Progression wurde nicht zur Gänze, sondern nur zu zwei Dritteln abgeschafft. Das letzte Drittel wird jeden Sommer von der Regierung verteilt. Wie stark die kalte Progression noch immer an den Finanzen der Bürger knabbert, zeigt eine Berechnung der Agenda Austria. Würden die ak
Post aus Brüssel
Die EU-Kommission mahnt Österreich zu einem sparsameren Budgetkurs. Die Warnung kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.
Digitaler Nachzipf
Kurz vor Ferienstart präsentiert Bildungsminister Martin Polaschek ein Digitalisierungspaket für die Schulen. Damit ist Österreich wieder einmal spät dran. Man muss es leider so deutlich sagen: Österreich hat die Digitalisierung des Bildungssystems verschlafen.